Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

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geren Formen des Kirchenstils oder in freier der welt- 
lichen Musik angenäherter Weise erklingen. Es war ein 
Verdienst des Leipziger Universitätskirchenchors unter Lei- 
tung von Prof. H. Hofmann, der schon vordem regelmäßig 
Konzerte für neueste deutsche Kirchenmusik veranstaltete, 
solche Kompositionen sächslcher Tonsetzer zu Gehör zu 
bringen (von A. Heuß, S. Karg-Elert, C. Schönherr, 
5 Hiller, H. Kögler in geipzig, P. Gerbardt in Zwickau, 
Böhme in Reichenbach, H. Kößschbe in Dresden-Strehlen, 
G. Göhler jetzt in Lübeck). 
Weit ausgiebiger als durch Darbietung neugeschaffe- 
ner Werke ward das musikalische Bedürfnis der Kriegs- 
zeit aus den schon vorhandenen Schätzen gedeckt. Sehr 
bald nach Kriegsausbruch trat die Musikpflege in die Zeit 
der Wohltätigkeitskonzerte ein. Es war eine wirkliche Hoch- 
flut: allein für Dresden wird berichtet, daß die Zahl der 
Lazarettkonzerte in die Hunderte ging; doch wurden nuch 
Konzerte zugunsten notleidender Künstler gegeben. Es mag 
  
Geh. Hofrat Professor A. Nikisch, 
Dirigent des Leipziger Gewandhausorchesters 
nicht alles Höhenkunst gewesen sein, was geboten wurde; 
aber war es nicht eine überaus bezeichnende und erfreuliche 
Tatsache sächsischen Geisteslebens im Kriege, daß in dieser 
schweren Zeit so viel Erhebung, Trost und Freude durch gute 
Musik von berufsmäßigen Künstlern wie von zahlreichen 
fähigen Kräften aus der Bevölkerung in Stadt und Land 
geboten wurde, in Passionsstimmung und Osterjubel, in 
Totenklage und doch wieder durchbrechender Maienlust? Auch 
an musikalischen Entdeckungen fehlte es nicht; so wurden 
erst im Kriege die Tonschöpfungen des in Dresden hei- 
mischen P. Büttner bekannt. Manche Einschränkung im 
Musikwesen war unausbleiblich. In Leipzig löste sich 
das Winderstein-Orchester auf; in den „Volkstümlichen 
Sinfoniekonzerten“ in der großen Alberthalle bot nun 
das „Schachtebeck-Quartett“ der Menge andächtig Hö- 
render musikalischen Genuß. In Dresden hingegen ver- 
mochte 19185 Eug. Lindner das Philharmonische Orchester 
neu zu gründen; in der Pflege der Kammermusik hielt das 
Striegler-Quartett durch. Das Chorwesen litt in Dresden 
trotz edlen Eifers mehr als anderwärts; in Leipzig führten 
der Bachverein unter K. Straube, der nach G. Schrecks 
Rücktritt zum Thomaskantor ernannt wurde, der Riedel- 
verein, dessen Dirigent während der Kriegszeit, Professor 
Fr. Mayerhoff, zu Proben und Übungen von Chemnitz her- 
überkam, auch die Singakademie unter G. Wohlgemuth 
die Konzerttätigkeit wenig eingeschränkt weiter. Ein Unter- 
schied im Musikbetrieb der beiden größten Städte des Lan- 
des war auch der, daß in Dresden im altangesehenen Ton- 
künstlerverein und bei einem „ersten modernen Musik- 
feste“ schon Werke der allerjüngsten, ganz neue Ausdrucks- 
möglichkeiten suchenden Musik (von Arn. Schönberg u. a.) 
aufgeführt wurden, während sie in Leipzig einem größeren 
PHörerkreis zunächst noch unbekannt blieb, wie überhaupt 
hier die breitere Offentlichkeit von der Bewegung des „Ex- 
pressionismus“ erst nach Kriegsausgang, sogleich in mehr 
abgewogener wissenschaftlicher Darstellung durch eine Vor- 
tragsreihe im Schillerverein (Frühjahr 1010) erfuhr. 
Ein von Leipzig ausgehendes künstlerisches Ereignis von 
allgemeinster Bedeutung war die von dem Gewandhaus- 
Orchester unter seinem vielgefeierten Dirigenten Arthur 
Nikisch im November 1916 unternommene Konzertreise 
nach der Schweiz. Während wir Deutschen vor der ganzen 
Welt als Barbaren verklagt und verhöhnt wurden, ward 
hier eine Kulturtat ersten Ranges vollbracht: Darbietung 
herrlichster deutscher Musik (Beethoven, N. Wagner, 
Brahms) in einer an Schönheit und Vollendung nicht über- 
bietbaren Wiedergabe vor einer aus verschiedensten Völkern 
zusammengesetzten Hörerschaft, die vor solcher Offen- 
barung deutschen Geistes bewundernd das Trennende der 
Weltkriegsleidenschaften vergaß. Als Dank für die freund- 
liche Aufnahme in der deutschen Schweiz wurde zu Leipzig 
im Herbst lols ein Schweizerisches Musikfest veranstal- 
tet. Nikisch führte sodann noch ähnliche Konzertreisen ins 
Ausland durch; nach der Schweiz ward später auch der 
Leipziger Bachverein eingeladen und bot mit dem deutschen 
Nequiem von Brahms den Hörern eine Weihestunde edel- 
ster Art. Mit solchen Leistungen hat die Musikpflege Sach- 
sens eine wahre Kulturmission erfüllt. 
Bedrohlicher als für die Kunst des geschriebenen und 
gedruckten Worts sowie die Konzertmusik konnte die Kriegs- 
zeit leicht für die auf größere technische Mittel angewiesene 
Kunstpflege werden. In der Tat haben die Bühnen, 
Schauspiel wie Oper, eine bewegte Geschichte während der 
Kriegsjahre erlebt, zumal da an einigen der bedeutenden 
ein Wechsel in der Leitung eintrat. Indes als die unmittel- 
barste Gefahr für das Theaterwesen nach dem Aus- 
bruch des Krieges vorüber war, gewöhnte sich das Publikum 
sehr bald wieder an den Besuch der abendlichen Vorstellun- 
gen; ja es siellte sich, da im Kriege viel Geld unter die 
Leute kam, sonst aber weniger Gelegenheit zu geistiger Er- 
holung mehr oder minder wertooller Art sich bot, ein gewal- 
tiger Andrang zu den Aufführungen verschiedensten Ranges 
ein, so daß die Theaterkassen einen Zustand erfreuender Fülle 
aufwiesen. Erst gegen Ausgang des Krieges, als Kohlen- 
not und Rohstoffmangel immer mehr Einschränkungen nötig 
machten, als infolge der Einberufungen ins Heer oder zum 
vaterländischen Hilfsdienst die Zahl der Mitwirkenden im- 
mer kleiner ward, hatte der Theaterbetrieb empfindlich zu 
leiden. 
In einer Zeit aufs stärkste bewegten Lebens und allgemein 
erregter Leidenschaft schien die Erwartung nicht unberech- 
tigt, daß sich dramatische Gestaltungskraft des außergewöhn- 
lichen Stoffs bemächtigen werde, um ihn in Schöpfungen 
eines wirklichen Volksdramas zu bemeistern. Indes das 
große nationale Drama von bleibendem künstlerischen Wert 
als höchste Gestaltung des seelischen Inhalts der Welt- 
kriegsepoche ward nicht geschaffen, weder in Sachsen, noch 
sonst in Deutschland. An Versuchen, das Erleben der Kriegs- 
zeit auf der Bühne darzustellen, hat es zwar nicht ge- 
fehlt; auch in Sachsen wurde manches zur Aufführung
	        
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