Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

gebracht — so der von einem Feldgrauen verfaßte „Hias“, 
den in Dresden und Leipzig Mitglieder der Genesungskom— 
pagnie spielten — und hat des Eindrucks auf die Bevölke- 
rung nicht entbehrt; aber nach dem Verrauschen der Zeit- 
stimmung wird sich wohl kaum etwas davon erhalten. 
So war der Spielplan der bedeutenderen Bühnen des 
Landes wesentlich auf den vorhandenen Schatz an zug- 
kräftigen Werken angewiesen. Was seine Gestaltung be- 
trifft, so faßte der künstlerische Leiter des Hofschauspiels 
in Dresden, wo soeben erst (1913) der neue schöne Bau 
des Kgl. Schauspielhauses am Zwinger seiner Bestimmung 
übergeben worden war, Dr. K. Zeiß, die Aufgabe, welche 
jetzt den wahre Kunst pflegenden Bühnen gestellt war, 
mit voller Klarheit ins Auge: nicht mehr, wie vornehmlich 
bisher, Werke, in denen das Einzelschicksal des Menschen 
gestaltet wird, vorzuführen, sondern auf solche das Augen- 
merk zu richten, „in denen es um die großen Fragen der 
Nation geht, in denen der heiße Atem und der gewaltige 
Rhythmus unserer Tage bebt“. Nicht ausschließen wollte 
man auf die Dauer das gute Fremde — wurde doch der 
300. Todestag Shakespeares, des größten germanischen 
Dramatikers bei uns nicht vergessen —; aber zunächst 
sollten einmal die Schöpfungen deutscher Dichter den Vor- 
zug haben. Manche Bereicherung des Spielplans wurde 
nach solchem Grundsatz gewonnen, an den Dresdener Thea- 
tern, wie auch anderwärts; so in Leipzig, wo das Schauspiel 
von dem Intendanten M. Martersteig feinsinnig geleitet 
ward. Doch waren auch einzelne Uraufführungen im künst- 
lerischen Sinne bedeutend, zumal bei Bühnendichtungen, 
deren Stoff, aus der Vergangenheit genommen, aber unse- 
rem eigenen Erleben in großer schmerzlicher Zeit innerlich 
verwandt, besondere Ausdruckemöglichkeiten dichterischer Art 
bot: Otto Erlers, eines Dresdeners, Struensee, in ganz 
anderem Stile Walter von Molo's Friedrich Staps und Gg. 
Kaisers Bürger von Calais — beides Werke nichtsächsi- 
scher Künstler, aber in Dresden und Leipzig aufgeführt — 
mögen genannt sein. Tiefen Eindruck machten die Dich- 
tungen älterer Volksspiele, besonders ein Totentanz, Para- 
dies= und Weihnachtsspiele, die der Thüringer Haas-Berkow, 
ein Schüler Reinhardts, mit einer Inszenierungskunst von 
erlesenem Geschmack unter Mitwirkung von Laien zur Auf- 
führung brachte. Auch Bestrebungen nach Gründung einer 
stehenden Volksbühne, in Dresden unterstützt vom Ober- 
spielleiter des Alberttheaters M. Alberty, wurden verfolgt. 
Für die Oper konnten sich die Schwierigkeiten leicht 
noch mißlicher fühlbar machen, als für das Schauspiel; 
doch wurden sie merkwürdig gut überwunden. Die Dres- 
dener Hofoper, an welcher nach Schuchs Tode im Mai 1914 
zwar kein neuer Generalmusikdirektor angestellt ward, jedoch 
die beiden Hofkapellmeister Kutzschbach und Reiner in treff- 
licher gegenseitiger Ergänzung die Leitung innehatten, war 
gerade in den Jahren 1915/18 außerordentlich regsam, 
sowohl in Neueinstudierung und neuer Inszenierung früher 
schon gebrachter Werke, wie auch mit Erstaufführungen; 
dabei wurde die deutsche Opernkunst ganz anders als vor- 
dem bevorzugt. Auch Leipzigs Oper unter ihrem ausgezeich- 
neten Direktor O. Lohse erwies sich den Anforderungen 
der Kriegszeit durchaus gewachsen. Daß daneben die 
Operette während des Krieges ihr Publikum fand, war 
sehr natürlich; man brachte gute alte Stlücke, bisweilen 
ein auf die Tagesstimmung berechnetes „patriotisches“ neues 
C,Ertrablätter“) und erfüllte ein Bedürfnis der Menschen 
nach Ablenkung von den mancherlei Kümmernissen der 
schweren Zeit, die sie je nach Temperament und Bildung 
innerlich niedergedrückt oder trotz allem hochgestimmt er- 
lebten. — 
Eine Folge der Kriegszeit, die nicht unmittelbar das 
geistige Leben in Sachsen beeinflußte, wohl aber in Zu- 
kunft Bedeutung dafür gewinnen kann, war die Hin- 
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wendung der Künstler zu wirtsehaftlich sozialer Selbst- 
bilfe. Da die Ansprüche an die „selbstlose Mitwirkung“ 
der Künstler bei den unzähligen Wohltätigkeitsveranstaltun= 
gen überspannt wurden, so war es begreiflich, daß eine 
ganz ungewohnte soziale Tätigkeit einsetzte: im Anschluß 
an den Dresdener Tonkünstlerverein entstand eine „Wirt- 
schaftliche Vereinigung vortragender Künstler“. Dazu kam 
im Juni 10917 die „Gründung des sächsischen Künstlerhilfs- 
bundes“, dem der Staat seine Unterslützung verlieh. 
4. Die bildenden Künste 
Die bildende Kunst in Sachsen, einst von der Kirche 
und dem fürstlichen Hofe, erst später von dem wohlhabender 
werdenden Bürgertum gepflegt, war bisher siets mit der 
Friedenspalme einhergeschritten; kriegerischen Lorbeer hatte 
sie nicht gesucht und gepflückt. Inzwischen hatte sie sich, 
vom glänzenden wirtschaftlichen Aufschwung des Landes 
gefördert, zu einer reicheren Blüte entfaltet; war sie jetzt 
stark genug und der Aufgabe gewachsen, dem Erleben der 
Weltkriegszeit in ihrer Weise Gestalt zu verleihen? 
Soeben noch, ein Jahr vor Ausbruch des Krieges, hatte 
die Baukunst Sachsens auf der Leipziger Ausstellung 
ihre Fähigkeiten gezeigt. Aber der imposante Leipziger 
Hauptbahnhof und danach die Deutsche Bücherei, das 
von Stadtbaurat Erlwein in Dregden erbaute neue Aus- 
stellungsgebäude für Kunst (an der Lennéstraße) und etwa 
noch die Studienanstalt für Mädchen in der Neustadt waren 
die letzten stattlichen Bauten, deren Vollendung möglich 
blieb. Während draußen im Felde die eigenartige Baukunst 
der Pioniere ihre Triumphe feierte, in einer Zeit steigenden 
Mangels an allen Baustoffen daheim und steter Minderung 
der verfügbaren Arbeitskräfte, stockte die Bautätigkeit aller 
Orten; für neue große Schöpfungen edler Architektur war 
kein Raum. 
Weit günstigere Bedingungen boten sich für die Pflege 
der Bildnerei und Malerei, insbesondere der Griffelkunst. 
Die Fülle und Mannigfaltigkeit der Eindrücke im Krieg, 
das muntere Treiben der Soldaten im Lagerort, der Wach- 
und Aufklärungsdienst mit seinen Leuchtsignalen, die grau- 
sigen Bilder der Schlacht, die Widerspiegelung der Seelen- 
erregungen des Kriegers in seinem Antlitz, das innige Leben 
mit der Natur bei Tag und Nacht in den so unendlich 
verschiedenen Landschaften zwischen der nebelfeuchten Nord- 
seeküste und dem südlichen Gebirge nahe dem Agsischen 
Meer, dies alles lockte zu bildlicher Wiedergabe ebenso 
den geborenen Künstler wie den einfachen Mann mit ge- 
sunden Augen, der mit unausgebildeter Geschicklichkeit den 
Zeichenstift führte. Uberdies gab eine Menge von bestimmten 
praktischen Zwecken Anlaß zu Arbeiten der „Kriegs- 
graphik“: Aufträge von Zeitschriften und Tagegzeitun- 
gen, Anfertigung von Gedenkblättern und Kriegsgedenk- 
büchern, Widmungstafeln, Ansichtspostkarten u. dgl. Kaum 
ist es erlaubt, aus der Zahl der Schaffenden nur einzelne zu 
nennen: Br. Hérour und Erich Gruner in Leipzig, W. Zei- 
sing in Dresden. Große Bedeutung erlangte auch das 
Plakat für Werbezwecke: man legte Wert auf seine künst- 
lerische Gestaltung; der Sächsische Heimatdank erließ ein 
Preicausschreiben, andere folgten, und wirklich wurde 
manche treffliche Lösung der gestellten Aufgaben — die 
Taube mit dem schlichten Symbol der Blutstropfen und 
des Olzweigs oder die wuchtige Gestalt des schützenden 
Kriegers — gefunden, welche in die sonst so grau ein- 
förmige Kriegozeit einen erfreuenden Farbenton brachte und 
in der Kunstgeschichte Sachsens als Zeichen der Zeit un- 
vergessen bleiben wird. In Leipzig nahm sich die Kgl. 
Akademie der graphischen Künsie unter Leitung von Geb. 
Hofrat Prof. Dr. M. Seeliger der Förderung solcher 
Aufgaben an. So wurde im Deutschen Museum für Buch- 
wesen und Schrifttum 1917/18 eine doppelte Ausstellung
	        
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