Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

386 
zur Rohstoffbeschlagnahme. Im weiteren Verlauf hat dann 
der Krieg die Betätigungsmöglichkeiten der sächsischen Tertil= 
industrie schwer eingeschränkt, und es war nicht zu ver- 
meiden, daß als letzte einschränkende Maßnahmen schließ- 
lich auch eine Stillegung einzelner noch arbeitender Betriebe 
eintrat. Was jedoch die sächsische Tertilindustrie unter diesen 
stark beschränkten Betriebsbedingungen geleistet hat, ist ge- 
waltig. Wie in einer großen Verteidigungsschlacht gegen 
übermächtige Feinde hat sie nur schrittweise das von ihr zäh 
behauptete Gelände aufgegeben, und in mustergültiger Be- 
weglichkeit und Anpassungsfähigkeit hat sie nicht nur viele 
Hemmungen und Schwierigkeiten überwunden, sondern auch 
neues Gelände hinzugewonnen. 
Weniger als in der Textilindustrie machten sich in der 
sächsischen Metall= und Maschinenindustrie die Folgen des 
Krieges geltend. Hier konnten sich naturgemäß große und 
kleine Betriebe noch viel umfangreicher und ausgiebiger auf 
Herstellung und Lieferung von Heeresbedarf einstellen. 
Infolgedessen ist auch der Anteil Sachsens an der Munitions- 
erzeugung und an der Entwickelung dieser und verwandter 
Betriebe ganz bedeutend. 
Der Handel 
Die gleichen kriegswirtschaftlichen Notwendigkeiten, die 
sich der sächsischen Industrie gegenüber fühlbar machten, 
beeinflußten auch viele Gebiete des Handels. Die Betäti- 
gungsmöglichkeiten, die der Ausfuhr= und Einfuhrhandel im 
Anfang der Kriegszeit noch hatte, wurden immer geringer. 
Die aus Rücksichten der Spionageverhütung eingeführte 
Sperre an der österreichischen Grenze machte sich für Sachsen 
besonders bemerkbar. Der sächsische Binnenhandel verdiente 
im Kriege, soweit und solange er Vorräte hatte. Eine Er- 
gänzung von Vorräten wurde immer schwieriger und war 
zuletzt so gut wie ausgeschlossen. Der Warenhunger im 
Inlande war schließlich ebenso groß wie der Warenmangel. 
Zudem führte die Verstaatlichung des Wirtschaftslebens zu 
vielfacher Ausschaltung des Handels, und die im Ver- 
braucherinteresse nötige Festsetzung von Höchstpreisen setzte 
vor allem dem Kleinhandel enge Grenzen. Gemildert wurde 
der Zustand dadurch, daß sich die Organe der öffentlichen 
Versorgung in Staats= und Kommunalwirtschaft immer 
mehr dazu verstanden, die Angehörigen des Handels bei 
der Verteilung der von der öffentlichen Bewirtschaftung er- 
faßten Waren unter Gewährung eines angemessenen Nutzens 
zu beteiligen. 
Auch der Handel leistete allen feindlichen Angriffen gegen- 
über so lange als möglich zähen Widerstand und behauptete 
auf den wenigen ihm verbliebenen Gebieten die alte Leistungs- 
fäbigkeit und Höhe. Ein ganz einzigartiges Bild bot nach 
dieser Richtung im Rahmen der sächsischen Volkswirtschaft 
eine Handelseinrichtung, die schon in Friedenszeiten ein 
Ruhmeoblatt in der Geschichte des deutschen Handelswesens 
war, und nun im Kriege allen Hemmungen zum Trot zu 
einer Bedeutung emporstieg, die sie weit über die sächsische 
und deutsche Volkswirtschaft hinaushob: das ist die Leip- 
ziger Messe. 
Weltbekannt schon im Frieden war diese auf sächsischem 
Boden entstandene Einrichtung eine solche des Welthandels- 
verkehrs geworden. Von der Warenmesse war sie in der 
Hauptsache zur Musiermesse geworden. Jedes Jahr um die 
OÖster= und Michaeliszeit veranstalteten die Fabrikanten der 
mannigfaltigsten Waren Ausstellungen von Musterlagern, 
die von den maßgebenden Einkaufsfirmen des In= und Aus- 
landes aufgesucht wurden. Erzeuger und Abnehmer traten 
hierbei persönlich miteinander in Fühlung, festigten alte 
und gründeten neue Geschäftsverbindungen, unterrichteten 
sich über Bedarf und Geschmack, prüften die Waren auf 
Güte, Preis und Lieferungsbedingungen und tätigten darnach 
ihre Abschlüsse. Die so oft auf der Mustermesse selbst ab- 
geschlossenen oder angebahnten Geschäfte gingen jedesmal 
in die Hunderte von Millionen. Sachsen bonnte schon vor 
dem Kriege stolz darauf sein, daß Leipzig der Sitz einer der 
bedeutsamsten Einrichtungen geworden war, die sich der 
Handel der Welt im Laufe der Zeit zur Abwickelung seines 
Verkehrs geschaffen hat. Im Kriege nahmen die Leipziger 
Messen einen so außerordentlichen Aufschwung, daß sie sich 
zu einer einzigartigen Erscheinung des Handelslebens ent- 
wickelten. Ihrer Bedeutung ist eine besondere Darstellung 
in diesem Werke gerecht geworden. 
Handwerk und Gewerbe 
Unter teilweisen anderen Einwirkungen als Industrie und 
Handel standen im Kriege Handwerk und Kleingewerbe. Hier 
ist der Betrieb viel mehr als dort auf die Kraft der einzelnen 
Person gestellt. Mit der Einziehung des Betriebsinhabers 
wurde dei Betriebe selbst vielfach die persönliche Daseins- 
grundlage für die Kriegszeit entzogen und in allen Fällen, 
in denen der Inhaber vor dem Feinde fiel, ist diese wirt- 
schaftliche Existenz dauernd vernichtet. Rohstoffe und Waren- 
mangel sowie die öffentliche Bewirtschaftung der Nahrungs- 
mittel schalteten weitere Betriebe aus oder beschränkten ihren 
Umsatz, so besonders bei den Nahrungsmittelgeschäften, den 
Bäckereien und den Fleischereien. Die Einschränkung, die 
sich mit der langen Dauer des Krieges die privaten Haus- 
haltungen immer mehr auferlegen mußten, übten ihre Rück- 
wirkung aus. Notwendige Herstellungen, Anschaffungen und 
Erneuerungen unterblieben. Ganze Berufsgruppen wurden 
dadurch fast brach gelegt. So vor allem das Bauhandwerk; 
die allgemein verhängte Bausperre ließ nur Raum für Fertig- 
stellung kriegswichtiger Bauten und der allernotwendigsten 
Ausbesserungsarbeiten. Einige Klassen von Betrieben fanden 
Ersatz für das Entgangene in Heereslieferungen. Es liegt 
in der Natur des Handwerks, daß es zunächst auf Lieferung 
von Heeresbedarf weniger eingestellt war als die Industrie. 
Gleichwohl gelang es dem Handwerk während des Krieges 
in steigendem Maße an den Heereslieferungen teilzunehmen. 
Immerhin bleibt, im allgemeinen betrachtet, der gewerbliche 
Mittelstand die Berufsschicht, der gegenüber die harten 
Folgen der Kriegszeit am deutlichsten in die Erscheinung 
traten. Auch der aus den öffentlichen und privaten Beamten 
und Angestellten zusammengesetzte Teil des Mittelstandes 
blieb vom Kriege nicht unberührt. Der ständigen Verteue- 
rung aller Lebensbedingungen gegenüber erwiesen sich die 
Einkommensverhältnisse der Friedenszeit immer unzureichen- 
der. Wie im ganzen Deutschen Reiche, so griffen auch in 
Sachsen die öffentlichen Körperschaften wiederholt durch 
Kriegsteuerungozulagen an ihre Beamten helfend ein, und 
die privatwirtschaftlichen Betriebe folgten zum Teil diesem 
Beispiel. 
Die Landwirtschaft 
Die sächsische Landwirtschaft leistete in der Kriegszeit 
unter erschwerten Produktionsbedingungen Hervorragendes. 
Mangel an Arbeitskräften und Gespannen wurden nach Mög- 
lichkeit ausgeglichen. Die Landfrauen griffen unverdrossen 
zu, und soweit es möglich war, wurden Kriegsgefangene 
zur Aushilfe eingestellt. In der Zeit besonders gesteigerter 
Tätigkeit, zur Frühjahrsbestellung und zur Ernte, hand- 
habte die Heeresverwaltung die Beurlaubung der vom Lande 
stammenden Heeresangehörigen bis zu der durch die Schlag- 
fertigkeit der Truppe gezogenen Grenze weitherzig und ent- 
gegenkommend. Alles dies bonnte freilich kein volles Gegen- 
gewicht demgegenüber schaffen, was der Krieg der Land- 
wirtschaft an Hilfsmitteln vorenthielt. Der früher in be- 
deutenden Mengen aus dem Auslande gekommene Zuschuß 
an Futtermitteln und Düngemitteln blieb aus. Dieser Aus- 
fall mußte sowohl die Ertragsfähigkeit des Grund und 
Bodens, wie die Viehwirtschaft nachteilig beeinflussen. Die 
im Interesse der Gesamtwirtschaft wiederholt vorgenomme-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.