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zur Rohstoffbeschlagnahme. Im weiteren Verlauf hat dann
der Krieg die Betätigungsmöglichkeiten der sächsischen Tertil=
industrie schwer eingeschränkt, und es war nicht zu ver-
meiden, daß als letzte einschränkende Maßnahmen schließ-
lich auch eine Stillegung einzelner noch arbeitender Betriebe
eintrat. Was jedoch die sächsische Tertilindustrie unter diesen
stark beschränkten Betriebsbedingungen geleistet hat, ist ge-
waltig. Wie in einer großen Verteidigungsschlacht gegen
übermächtige Feinde hat sie nur schrittweise das von ihr zäh
behauptete Gelände aufgegeben, und in mustergültiger Be-
weglichkeit und Anpassungsfähigkeit hat sie nicht nur viele
Hemmungen und Schwierigkeiten überwunden, sondern auch
neues Gelände hinzugewonnen.
Weniger als in der Textilindustrie machten sich in der
sächsischen Metall= und Maschinenindustrie die Folgen des
Krieges geltend. Hier konnten sich naturgemäß große und
kleine Betriebe noch viel umfangreicher und ausgiebiger auf
Herstellung und Lieferung von Heeresbedarf einstellen.
Infolgedessen ist auch der Anteil Sachsens an der Munitions-
erzeugung und an der Entwickelung dieser und verwandter
Betriebe ganz bedeutend.
Der Handel
Die gleichen kriegswirtschaftlichen Notwendigkeiten, die
sich der sächsischen Industrie gegenüber fühlbar machten,
beeinflußten auch viele Gebiete des Handels. Die Betäti-
gungsmöglichkeiten, die der Ausfuhr= und Einfuhrhandel im
Anfang der Kriegszeit noch hatte, wurden immer geringer.
Die aus Rücksichten der Spionageverhütung eingeführte
Sperre an der österreichischen Grenze machte sich für Sachsen
besonders bemerkbar. Der sächsische Binnenhandel verdiente
im Kriege, soweit und solange er Vorräte hatte. Eine Er-
gänzung von Vorräten wurde immer schwieriger und war
zuletzt so gut wie ausgeschlossen. Der Warenhunger im
Inlande war schließlich ebenso groß wie der Warenmangel.
Zudem führte die Verstaatlichung des Wirtschaftslebens zu
vielfacher Ausschaltung des Handels, und die im Ver-
braucherinteresse nötige Festsetzung von Höchstpreisen setzte
vor allem dem Kleinhandel enge Grenzen. Gemildert wurde
der Zustand dadurch, daß sich die Organe der öffentlichen
Versorgung in Staats= und Kommunalwirtschaft immer
mehr dazu verstanden, die Angehörigen des Handels bei
der Verteilung der von der öffentlichen Bewirtschaftung er-
faßten Waren unter Gewährung eines angemessenen Nutzens
zu beteiligen.
Auch der Handel leistete allen feindlichen Angriffen gegen-
über so lange als möglich zähen Widerstand und behauptete
auf den wenigen ihm verbliebenen Gebieten die alte Leistungs-
fäbigkeit und Höhe. Ein ganz einzigartiges Bild bot nach
dieser Richtung im Rahmen der sächsischen Volkswirtschaft
eine Handelseinrichtung, die schon in Friedenszeiten ein
Ruhmeoblatt in der Geschichte des deutschen Handelswesens
war, und nun im Kriege allen Hemmungen zum Trot zu
einer Bedeutung emporstieg, die sie weit über die sächsische
und deutsche Volkswirtschaft hinaushob: das ist die Leip-
ziger Messe.
Weltbekannt schon im Frieden war diese auf sächsischem
Boden entstandene Einrichtung eine solche des Welthandels-
verkehrs geworden. Von der Warenmesse war sie in der
Hauptsache zur Musiermesse geworden. Jedes Jahr um die
OÖster= und Michaeliszeit veranstalteten die Fabrikanten der
mannigfaltigsten Waren Ausstellungen von Musterlagern,
die von den maßgebenden Einkaufsfirmen des In= und Aus-
landes aufgesucht wurden. Erzeuger und Abnehmer traten
hierbei persönlich miteinander in Fühlung, festigten alte
und gründeten neue Geschäftsverbindungen, unterrichteten
sich über Bedarf und Geschmack, prüften die Waren auf
Güte, Preis und Lieferungsbedingungen und tätigten darnach
ihre Abschlüsse. Die so oft auf der Mustermesse selbst ab-
geschlossenen oder angebahnten Geschäfte gingen jedesmal
in die Hunderte von Millionen. Sachsen bonnte schon vor
dem Kriege stolz darauf sein, daß Leipzig der Sitz einer der
bedeutsamsten Einrichtungen geworden war, die sich der
Handel der Welt im Laufe der Zeit zur Abwickelung seines
Verkehrs geschaffen hat. Im Kriege nahmen die Leipziger
Messen einen so außerordentlichen Aufschwung, daß sie sich
zu einer einzigartigen Erscheinung des Handelslebens ent-
wickelten. Ihrer Bedeutung ist eine besondere Darstellung
in diesem Werke gerecht geworden.
Handwerk und Gewerbe
Unter teilweisen anderen Einwirkungen als Industrie und
Handel standen im Kriege Handwerk und Kleingewerbe. Hier
ist der Betrieb viel mehr als dort auf die Kraft der einzelnen
Person gestellt. Mit der Einziehung des Betriebsinhabers
wurde dei Betriebe selbst vielfach die persönliche Daseins-
grundlage für die Kriegszeit entzogen und in allen Fällen,
in denen der Inhaber vor dem Feinde fiel, ist diese wirt-
schaftliche Existenz dauernd vernichtet. Rohstoffe und Waren-
mangel sowie die öffentliche Bewirtschaftung der Nahrungs-
mittel schalteten weitere Betriebe aus oder beschränkten ihren
Umsatz, so besonders bei den Nahrungsmittelgeschäften, den
Bäckereien und den Fleischereien. Die Einschränkung, die
sich mit der langen Dauer des Krieges die privaten Haus-
haltungen immer mehr auferlegen mußten, übten ihre Rück-
wirkung aus. Notwendige Herstellungen, Anschaffungen und
Erneuerungen unterblieben. Ganze Berufsgruppen wurden
dadurch fast brach gelegt. So vor allem das Bauhandwerk;
die allgemein verhängte Bausperre ließ nur Raum für Fertig-
stellung kriegswichtiger Bauten und der allernotwendigsten
Ausbesserungsarbeiten. Einige Klassen von Betrieben fanden
Ersatz für das Entgangene in Heereslieferungen. Es liegt
in der Natur des Handwerks, daß es zunächst auf Lieferung
von Heeresbedarf weniger eingestellt war als die Industrie.
Gleichwohl gelang es dem Handwerk während des Krieges
in steigendem Maße an den Heereslieferungen teilzunehmen.
Immerhin bleibt, im allgemeinen betrachtet, der gewerbliche
Mittelstand die Berufsschicht, der gegenüber die harten
Folgen der Kriegszeit am deutlichsten in die Erscheinung
traten. Auch der aus den öffentlichen und privaten Beamten
und Angestellten zusammengesetzte Teil des Mittelstandes
blieb vom Kriege nicht unberührt. Der ständigen Verteue-
rung aller Lebensbedingungen gegenüber erwiesen sich die
Einkommensverhältnisse der Friedenszeit immer unzureichen-
der. Wie im ganzen Deutschen Reiche, so griffen auch in
Sachsen die öffentlichen Körperschaften wiederholt durch
Kriegsteuerungozulagen an ihre Beamten helfend ein, und
die privatwirtschaftlichen Betriebe folgten zum Teil diesem
Beispiel.
Die Landwirtschaft
Die sächsische Landwirtschaft leistete in der Kriegszeit
unter erschwerten Produktionsbedingungen Hervorragendes.
Mangel an Arbeitskräften und Gespannen wurden nach Mög-
lichkeit ausgeglichen. Die Landfrauen griffen unverdrossen
zu, und soweit es möglich war, wurden Kriegsgefangene
zur Aushilfe eingestellt. In der Zeit besonders gesteigerter
Tätigkeit, zur Frühjahrsbestellung und zur Ernte, hand-
habte die Heeresverwaltung die Beurlaubung der vom Lande
stammenden Heeresangehörigen bis zu der durch die Schlag-
fertigkeit der Truppe gezogenen Grenze weitherzig und ent-
gegenkommend. Alles dies bonnte freilich kein volles Gegen-
gewicht demgegenüber schaffen, was der Krieg der Land-
wirtschaft an Hilfsmitteln vorenthielt. Der früher in be-
deutenden Mengen aus dem Auslande gekommene Zuschuß
an Futtermitteln und Düngemitteln blieb aus. Dieser Aus-
fall mußte sowohl die Ertragsfähigkeit des Grund und
Bodens, wie die Viehwirtschaft nachteilig beeinflussen. Die
im Interesse der Gesamtwirtschaft wiederholt vorgenomme-