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dieser Beziehung in unserem engeren Vaterlande ein eigenes
sächsisches Unternehmen gewirkt, das in schöner Vereinigung
der Ziele mit der Liebestätigkeit für die Truppen im Felde
eine Förderung der Arbeitsmöglichkeiten innerhalb Sachsens
anstrebte. Am 24. September 1915 wurde auf Veranlas-
sung der Territorialdelegierten der freiwilligen Kranken-
pflege im Königreich Sachsen in Dresden der „Kriegs-
ausschuß für Truppenbedürfnisse im Königreich Sachsen“
ins Leben gerufen. Zusammengesetzt aus einer Reihe vater-
ländisch gesinnter Männer aus allen Teilen des Landes,
Vertretern des Landesausschusses der Vereine vom Noten
Kreuz, des Landesausschusses für Kriegshilfe, der amtlichen
Abnahmestellen beim XII. und XIX. Korps, der Landes-
versicherungsanstalt Königreich Sachsen, der größeren
Städte, der Handelskammern, des Verbandes Sachsischer
Industrieller, des Bundec der Landwirte, des Handwerkes
und Gewerbes, stellte er sich folgende Aufgaben: die Truppen
im Felde — in Ergänzung der der Heeresverwaltung ob-
liegenden Ausstattung — mit Regen= und Kälteschutzmitteln
und anderen Bedürfnissen zu versehen und durch sonstige
Maßnahmen das Wohlergehen der Truppen zu fördern;
die für diese Zwecke im Königreich Sachsen durch Samm-
lungen aufzubringenden Gelder unter Ausschaltung der Zen-
tralstelle in Berlin (Kriegsausschuß für warme Unterklei-
dung) selber zu verwalten, um sie sächsischen Erzeugern und
sächsischer Arbeiterschaft zu erhalten; also Industrie und
Handel, Handwerk und Gewerbe Sachsens durch Zuweisung
von Lieferungsaufträgen zu unterstützen und durch Er-
langung von Heeresaufträgen der Arbeitslosigkeit innerhalb
der sächsischen Industrie und der Heimarbeiterschaft zu
steuern. Der Kriegsausschuß fand zunächst ein weites Feld,
sich in Bahnen der selbst gestellten Doppelaufgabe zu be-
tätigen. Die nach und nach immer empfindlicher werdende
Knappheit der Rohstoffe und die immer stärker sich voll-
ziehende ÜUbernahme in öffentliche Bewirtschaftung setzten
der Tätigkeit im weiteren Verlauf gewisse Grenzen; dessen-
ungeachtet ist von ihr reicher Segen nicht nur für die säch-
sischen Krieger, sondern auch für die heimische Volkswirt-
schaft ausgegangen. In der Hauptsache waren es die Her-
stellung von Regen= und Kälteschutzmitteln und die Über-
nahme von Heeresnäharbeiten, besonders von Sandsäcken,
die der Ausschuß betrieb. Die Vermittelung von Strick-
aufträgen für erwerbslose Frauen und Mädchen nahm in
den Jahren 1916 und 1917 einen außerordentlichen Um-
fang an. Bei der Verteilung der Wolle an die in ganz
Sachsen verstreut liegenden 340 Bearbeitungsstellen, die der
Kriegsausschuß bei einzelnen Verwaltungsstellen oder ge-
meinnützigen Organisationen eingerichtet hatte, ließ er sich
von dem Grundsatze leiten, die durch den Krieg am schwer-
sten betroffenen Gegenden unseres engeren Vaterlandes, wie
beispielsweise das Vogtland und das Erzgebirge, besonders
zu bedenken. Bis zum 31. März lo#o sind der sächsischen
Heimarbeit für etwa §512 Millionen Paar handgestrickter
Socken rund 6 700 Ooo Mark Lohneinkommen zugeflossen.
Als die Zuteilung von Wolle in größeren Mengen unmög-
lich wurde, vermittelte der Ausschuß ausgedehnte Aufträge
an Heeresnäharbeiten. Allein an Sandsäcken wurden über
31 Millionen Stück in der sächsischen Heimarbeit fertig-
gestellt, daneben aber viele Tausend anderer Gegenstände des
Heeresbedarfs, wie Geschoßkappen, Iwiebackbeutel, Arbeits-
schürzen usp. Mit Sandsacknäharbeiten sind in Sachsen
allein durchschnittlich rund 20 000 Arbeiterinnen beschäftigt
worden, und die gezahlten Löhne überstiegen 1½ Millionen
Mark. Von den beschäftigten Arbeiterinnen arbeitcte in
Friedenszeiten der weitaus größte Teil in der Maschinen=
und Handstickerei, in der Strickerei und Wirkerei, in der
Gardinen= und Spitzenmanufaktur und in der Kleider= und
Wäschekonfektion. Zu den Arbeiten wurden ausschließlich
Erwerbsbedürftige berangezogen, insbesondere Heimarbeite=
rinnen, die ohne Ernährer waren und kleine Kinder hatten,
die schwach und nur beschränkt arbeitsfähig waren, die zur
Pflege Angehöriger zu Hause unentbehrlich waren, die sich
auch ohne solche Gründe im Frieden berufsmäßig mit Heim-
arbeit ernähren und solche, die durch die Kriegsverhältnisse
aus Fabriben entlassen waren oder sonst ihre Arbeitsgelegen-
heit verloren hatten. Unter Gleichberechtigten wurden
Frauen, deren Ernährer gefallen, als Soldat erwerbsunfähig
geworden oder zum Heeresdienst eingezogen waren, bevor-
zugt. Die hohe volkswirtschaftliche Bedeutung der Arbeit des
Ausschusses gewinnt noch weiterhin durch die Tatsache,
daß auch ein großer Teil der von ihm zur Bearbeitung ver-
mittelten Stoffe, vor allem die aus Papier und Papiermisch--
geweben, in Sachsen gewebt und zugeschnitten worden sind,
und hierdurch wieder zahlreiche Arbeitsbräfte Beschäftigung
und Verdienst gefunden haben. Im Nahmen der vom Aus-
schusse eingeleiteten Arbeitsvermittlung und zum Teil dar-
über hinausgehend entwickelte sich an verschiedenen Stellen
eine weitausgreifende gleichartige Fürsorge öffentlicher Or-
ganisationen und einzelner Privatpersonen in Kriegsnäh-
stuben und ähnlichen Einrichtungen der Kriegswohlfahrt.
Einzelwirtschaft in Staat und Gemeinde
Der Krieg bedingte nicht nur für die einzelnen Berufs-
ziveige und Erwerbsklassen neuartige, meist erschwerte Da-
seinsverhältnisse, sondern er setzte auch die wirtschaftlichen
Verhältnisse des einzelnen, die Haushaltungen nach und
nach weitgehenden Beschränkungen aus. Zu Beginn des
Krieges zeigte sich keine Notwendigkeit der Einschränkung der
Lebenshaltung, im Gegenteil, von zuständiger Stelle aus
wurde einer solchen widerraten, um nicht unnötigerweise
Umsatz und Verdienst zu schmälern. Je länger der Krieg
dauerte, um so fühlbarer wurde der Rückgang an Gegen-
ständen des täglichen Bedarfs. Das Interesse der Allgemein-
heit erforderte deshalb ein von Jahr zu Jahr schärfer in die
Erscheinung tretendes Eingreifen in die Privatwirtschaft des
einzelnen. Die kriegswirtschaftlichen Maßnahmen des Staa-
tes dem einzelnen gegenüber waren auch in Sachsen sehr
oft Eingriffe seiner Organe in das Wirtschaftsleben. Da
sie eine Einschränkung der Freiheit des einzelhen sowohl
wie ganzer Erwerbsschichten brachten, wurden sie zunächst
nicht immer ohne subjektive Voreingenommenheit gewürdigt.
Mit der Zeit brach sich jedoch in allen Kreisen der Bevölke-
rung die Erkenntnis Bahn, daß eine durchgreifende Regu-
lierung und Zusammenfassung aller wirtschaftlichen Kräfte
eine unbedingte Notwendigkeit der Kriegszeit war. Das Be-
stehen des wirtschaftlichen Kampfes war gleichwertig mit
dem Bestehen des Kampfes an den Fronten. Soweit durch
den Abschluß des deutschen Wirtschaftslebens vom Welt-
markt Einschränkungen für Handel, Industrie und Gewerbe
nötig waren, sind diese Folgen bereits kurz gekennzeichnet
worden. Empfindlicher noch waren die Folgen, die sich nach
und nach für die persönliche Einzelwirtschaft, insbesondere
für die privaten Haushaltungen ergaben. Anfänglich trat,
wie schon angedeutet, kein Mangel bei Bestreitung der täg-
lichen Nahrung und Notdurft auf. Angebot und Nachfrage
hielten sich eine Zeitlang noch das Gleichgewicht. Je ge-
ringer jedoch die Vorräte wurden, um so größer wurde die
Nachfrage. Angsteinkäufe und Hamsterei, Zurückhalten der
Ware und dadurch bedingte unangemessene Preissteigerung
verschlimmerten den Zustand. Sachsen war dabei von vorn-
herein in einer wenig günstigen Lage. Auf fast allen Ge-
bieten war es Zuschußland und deshalb auf Juweisungen
aus anderen Bundessigaten angewiesen. Das setzte den
Landesorganen bei vielen ihrer Maßnahmen enge Grenzen
und erschwerte auch sonst die Versorgung, da es den Wirt-
schaftsplan für die Gesamtheit des sächsischen Volkes ab-
hängig machte von Faktoren, auf welche Sachsen selbst nur
wenig oder gar keinen Einfluß nehmen konnte. Auch in