schaftlichem und politischem Gebiete einen schlechten Ein-
druck machen würde, wenn man die Messe absage. Das
hieße, bis in die fernsten Gegenden der Welt verkünden,
daß man berechtigt sei, sich dem Kleinmut und der Ver-
zagtheit hinzugeben. Der Geist und die Taten der deutschen
Truppen rechtfertige unbedingtes Vertrauen in die Zukunft.
Die Messe fand also statt, allerdings später als sonst
(Mitte September), und entgegen vielen Befürchtungen
hatte sich das Ausland doch eingefunden, das verbündete
OÖsterreich-Ungarn sowohl, wie die neutralen Staaten, auch
Amerika, sogar Brüsseler und Pariser Firmen hatten sich
vertreten lassen. Allerdings waren die meisten wohl aus
Neugier gekommen, um zu sehen, wie sich Deutschland
nach Kriegsausbruch darstelle. Auch eine Reihe führender
Firmen Deutschlands, vor allem aus der Spielwaren-,
Porzellan-, Glaswarenindustrie, Metall, Papier usw. hatten
ausgestellt, sicher aber viele aus patriotischen Gründen oder
weil sie glaubten, von der Messe, da sie nun einmal statt-
fand, nicht fernbleiben zu dürfen. Allerdings herrschte in
den Meßmusterlagern, wie auf der Straße, im. Gegensatz
zu früheren Messen im Frieden, große Ruhe; die politische
Lage und die weiter oben dargestellten hemmenden Ein-
flüsse des Krieges hatten doch sehr viele Firmen veranlaßt,
nicht auszustellen, sondern lieber die vom Nat der Stadt
Leipzig herabgesetzte Miete zu bezahlen, ohne sich der er-
mieteten Näume zur Ausstellung zu bedienen.
Die zweite Periode
Wiederbelebung von Industrie, Handel und Verkehr
Diese erste Periode der mit Kriegsbeginn einsetzenden
Vertvirrung und des völligen Stillstandes des Wirtschafts-
lebens hat verhältnismäßig nicht lange gedauert. Sie war in
der ersten Septemberhälfte 1914 zum größten Teile über-
wunden. Die Mobilmachung verlief in glänzender Weise;
alles klappte, und namentlich die großartigen Leistungen
der Eisenbahr erregten die ungeteilte Bewunderung aller
Beobachter. Als der Aufmarsch der Truppen vollendet
war und die Verkehrsmittel allmählich wieder in das Land
zurückflossen, begann auch das wirtschaftliche Leben wieder
in Gang zu kommen. Die glänzenden Erfolge der
deutschen Waffen stärkten sehr bald das Vertrauen
auf die Zukunft, die allgemeine zuversichtliche Stimmung
auf einen guten Auegang des Krieges ließ auch die Ver-
luste, die das Abreißen der weltwirtschaftlichen Fäden mit
sich brachte, weniger schtver erscheinen, hoffte man doch,
sie später wieder einbringen zu können! Die Möglichkeit,
die unterwegs liegenden Rohstoffmengen, Halbfabrikate und
sonstigen Güter ihrem Bestimmungsorte wieder zuzuführen,
führte im Laufe des Monats September zur Wiedereröffnung
einer großen Reihe von Betricben, die in der Verwirrung
des ersten Augenblickes geschlossen worden waren. Die ver-
schiedenen Maßnahmen der Reichsregierung zur
Behebung der Kreditnot insbesondere durch die Darlehns-
kasse und die Kriegskreditbanken, die teilweise eintretende
Möglichkeit, Forderungen wenigstens aus dem neutralen
Auslande hereinzubekommen, führte zu weiterer Belebung
der industriellen und Handelstätigkeit und zur Wieder-
einstellung von anfangs entlassenen Arbeitern. So fiel die
Fiffer der Arbeitslosen, die nach der Zählung des Dresdner
Gewerkschaftskartelles z. B. im Dreodner Bezirk in der Woche
vom 24.—29. August noch 19987 betragen hatte, auf
17o0, in der nächsten Woche und weiterhin ständig in
folgender Richtung:
Arbeitslose männl. weibl.
31. August — 5. September 17989 12334 5655
7. September — 12. „ 16650 11190 54060
14. „ 10. „ 15 319 10356 4063
21. „ „6. „ 13776 8860 4007
305
Im ganzen Königreich Sachsen war die Jahl der Arbeits-
losen, die Ende August 1914 noch 143009 betrug, am
10. November bereits auf 69 ölS zurückgegangen. Wennauch
ein Teil der Abnahme bei den männlichen Arbeitslosen auf
die Einberufung von mämllichen Arbeitern entfällt, so doch
sicher auch ein Teil auf die Wiedereingestellten. Bezeichnend
für die Besserung der Lage war übrigens z. B. die bereits
von Ende Oktober 1914 datierte Klage über Waren-
mangel in der Konfektion, die zunächst in der Er-
wartung einer völligen Zurückhaltung der Käufer die Pro-
duktion übermäßig eingeschränkt hatte und sich alsdann
gezwwungen sah, forciert weiterzuarbeiten, um dem Bedarf
zu genügen. Wesentlich war für die Wiederbelebung der
industriellen Tätigkeit insbesondere, daß die letzte September-
woche auch die Wiederherstellung eines erheb-
lichen Teiles der Auslandsverbindungen
brachte, sowohl mit den neutralen Staaten Europas als auch
teilweise mit Ubersee. Noch war ja in dieser Periode das raf-
finierte System des Wirtschaftskrieges und der Blockade
der deutschen Wirtschaft nicht bis in alle Einzelheiten durch-
geführt, noch bestand damals nicht die Knebelung der Neu-
tralen durch die Uberwachung ihrer Wirtschaft durch Kom-
missionen, wie die Sociétée Surveillance Suisse in der
Schweiz und der Overzee Trust in Holland, in denen Eng-
land die Aufsicht führte und mit deren Hilfe es den Neu-
tralen vorschrieb, wie weit sie im Handel mit den Mittel-
mächten gehen durften. Dagegen bemühten sich in dieser
ersten. Zeit des Wiedereinsetzens der industriellen Tätigkeit
die feindlichen Staaten, Waren aus Deutschland zu
beziehen, welche sie zur Kriegsführung oder zur Aufrecht-
erhaltung ihrer Volkswirtschaft benötigten. Sie bedienten
sich dazu der Vermittlung von Geschäftsleuten neutraler
Länder, welche die Bestellungen entweder unmittelbar oder
mittelbar von neutralen Ländern aus bei deutschen Ge-
schäftshäusern machten oder sich die Waren durch deutsche
Aufkäufer oder solche eines anderen Landes bei uns be-
schafften. Die Ausfuhrverbote, die zur Sicherung des
deutschen Wirtschaftslebens und der Kriegsführung erlassen
wurden, schoben diesem Unfug wohl einen Riegel vor, hemm-
ten aber naturgemäß auch den Export sehr stark.
Wesentlich trug zu einem Wiederaufleben der Volkswirt-
schaft naturgemäß auch die Kriegsgesetzgebung bei,
welche eine Fülle von Maßnahmen anordnete, um In-
dustrie und Handel die Anpassung an die Kriegs-
verhältnisse zu erleichtern. Sie sind größtenteils schon
in den ersten Augusttagen ergangen, nachdem der Reichs-
tag dem Bundesrat mit dem sogenannten „Ermächtigungs-
gesetz“ vom 4. August 1914 die Berechtigung gegeben hatte,
Maßnahmen anzuordnen, welche für die Fortführung des
Wirtschaftslebens sich als notwendig erweisen würden.
Solche Verordnungen sind zunächst auf dem Gebiete des
Kreditwesens ergangen, da ja gerade auf diesem die
Not besonders groß war, ebenso zum Schutze der Kriegs-
teilnehmer gegen wirtschaftliche und finanzielle Nachteile, in
sozialpolitischer Hinsicht, in bezug auf die Auslands-
verhältnisse usp. So erfolgte das schon erwähnte Gesetz
über die Schaffung der Darlehnskasse, über Verlängerung.
der Fristen des Wechsel= und Scheckrechtes, über die An-
wendung einer Geschäftsaufsicht zur Abwendung des Kon-
bursverfahrens, über die Wirkung des Außerkrafttretens der
Handelsverträge mit den feindlichen Staaten, über die Ande-
rung des Münzgesetzes (Entbindung der Reichsbank von
der Verpflichtung, Banknoten in Gold einlösen zu müssen),
Aufhebung der Ausnahmen von Beschränkungen der Ge-
werbeordnung für die Beschäftigung gewerblicher Arbeiter,
über gerichtliche Bewilligung von Jahlungsfristen, zahlreiche
Verordnungen über Ausfuhrverbote, über Regelung der Ein-
fuhr, über die Anderungen im Post= und Telegraphen= sowie
Fernsprechverkehr mit dem Inland und dem Ausland dahin,