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tallgegenständen aller Art zu tun. Die Emaillierwerke hatten
mit Kochgeschirren, Teilen von Minenwerfern, Maschinen-
gewehren, allerhand Bedürfnissen des Heeres Gelegenheit
zur Arbeit. Ebenso war die lederverarbeitende In—
dustrie, soweit sie Friedensartikel wie Koffer, Taschen,
Mappen, Schuhe usw. herstellte, leicht auf Tornister, Pa-
tronentaschen, Leibriemen, Sattelzeuge, Militärstiefel usw.
einzurichten. Auch die chemische Industrie konnte viel-
fach der Umstellung schneller entsprechen, ebenso die Holz-
industrie für Wagen aus Holz, Munitionskästen, Zelt-
stäbe, Geschoßkorbteile, Handgranatenstiele usw. Sägewerke
fabrizierten Bohlen, Bretter für das Heer. Schwieriger
war schon die Umstellung bei Betrieben, die auf ganz neue
Herstellungsweisen übergehen mußten, so wenn eine Fabrik
künstlicher Blumen Granatzünder, eine Tapetenfabrik Mar-
melade herstellte, eine Geigenfabrik Munitionskästen machte,
Spinnereien und Zuckerwarenfabriken die Metallbearbeitung
aufnahmen, Buchbindereien Tornister usw. herstellten und
Fabriken für Musikapparate Granatenteile, Geschoßkörbe usw.
aufnahmen. Andere Industriezweige, wie die Spinnereien,
die Tuchfabriken, die Wirkereien mußten die von der Heeres-
und Marineverwaltung gewünschten gröberen Qualitäten her-
stellen und entsprechende Einrichtungen treffen, soweit sie
nicht schon vorhanden waren.
Auch in den Werken, in denen die Umstellung schnell
vonstatten ging, machten sich übrigens Neueinrichtungen und
insbesondere Erweiterungen nötig; man mußte häufig Neu-
bauten errichten, vorhandene Werkstätten erweitern, den Platz#
mehr ausnützen, zum teilweisen Ersatz männlicher Arbeits-
bräfte, z. B. Transporten, wurden arbeitsparende Ma-
schinen angeschafft, und in großem Umfange sind durch ge-
meinsames Zusammenwirken der Privatindustrie mit den
staatlichen Werkstätten, den Artilleriewerkstätten und Feld-
zeugmeistereien technische Verbesserungen aller Art an Ma-
schinen und Betriebseinrichtungen angebracht worden, teils,
um die Produktion zu steigern oder sie rationeller zu ge-
stalten teils um den besonderen, technisch oft sehr schwierig
zu befriedigenden Anforderungen der Heeresverwaltung zu
entsprechen. Die sächsische Industrie hat hierin Bedeuten-
des leisten müssen, da sie eben auf eine ganz andere Art
der Fabrikation eingerichtet war. Auch ganz neue Unter-
nehmungen wurden gegründet, so z. B. neue Stahlgieße-
reien, deren es biöher in Sachsen wenige gab; besonders
interessant ist die Einrichtung oder Wiederaufnahme von
Produktionsstätten für die Wolframerzgewinnung
und Sverarbeitung. Dieses Material, das zur Stahlver-
edelung gebraucht wird, wurde früher nur von auswärts be-
zogen; die Not des Krieges und der Abschluß Deutschlands
von überseeischer Nohstoffzufuhr, gaben Veranlassung, alte,
schon stillgelegte Gruben, in denen früher dieses Erz ge-
wonnen wurde, wieder neu zu öffnen und sogar Wolfram-
schlacken, die z. B. in den Bezirken von Chemnitz und Dres-
den auf den Halden lagen, zu verarbeiten, um das Wolfram
daraus zu gewinnen. Vor allem fand auch die Gesenk-
schmiederei, die Flugzeugfabrikation, der Bau von U-Boot-
und Maschinengewehrteilen, das Gießen und Ausbohren von
Geschützrohren Eingang in Sachsen, und es wurden teil-
weise neue Betriebe hierfür, wie für die Herstellung anderer
Heeresgeräte errichtet. Einige Werke des Steinkohlenberg=
baus in Zwickau gingen, ebenso wie eine ganze Reihe von
gemeindlichen Werken, auf Veranlassung der Heeresver-
waltung, zur Errichtung von Anlagen für die Gewinnung von
Benzol und anderen Nebenprodubten aus Steinkohle über.
Wie schon erwähnt, sind solche Umstellungen und An-
passungen an Lieferungen für das Heer aber nicht in allen
Industriezweigen möglich gewesen; so haben die Ziegeleien,
wie überhaupt das gesamte Baugewerbe, ferner die
Seifenindustrie, die Schokoladen= und Zuckerwaren=
industrie, die Fabriken, welche Weißwaren, Steckereien,
Spitzen, Gardinen, Handschuhe, Wirkwaren herstellten, an
diesem Umstellungsprozeß sich nicht beteiligen können. Die
Zahl der vom Heer benötigten Gegenstände, die viele Tertil-
betriebe auf ihren feinen Maschinen herstellen konnten, war
nur gering, während für diese Artikel gerade in fast allen
Teilen des Reiches, namentlich auch in Berlin, ein die Nach-
frage weit übersteigendes Angebot vorhanden war. Daher
haben denn auch die Bezirke, in denen diese Artikel her-
gestellt wurden, wie Auerbach i. V., Falkenstein,
Eibenstock, Plauen i. V., Teile des Chemnitzer
Kreises, wo die Feinhandschuh= und Wirkwarenindustrie
besonders stark vertreten ist, sehr gelitten, ihre Arbeitskräfte
wanderten ab nach anderen Gegenden, wo die Rüstungs=
industrie sie gern aufnahm, und die Betriebe haben erst im
späteren Verlauf des Krieges, als die Warenknappheit sich
bemerkbar machte und auf die ältesten Lagerbestände zurück-
griff, durch Verwertung ihrer Läger, durch Umarbeitung
alter Vorräte wieder etwas arbeiten können. Den größten
Teil des Krieges standen aber ihre Betriebe still, zehrten
sie von dem Kapital, für das sie keine Verzinsung aus dem
Betriebe herauswirtschaften konnten. Der Volkswirtschaft
sind dadurch ungeheure Werte entgangen.
Ein Umstand, der die sächsische Industrie sehr gehindert
hat, sich schon früher in größerem Umfange auf Kriegs-
materialherstellung einzurichten, war die Schwierigkeit, solche
Aufträge rasch und zuverlässig zu erlängen. Es bestand
zweifellos nicht die erforderliche Organisation, um die gro-
ßten Aufträge immer an die richtige Stelle zu leiten. Die
sächsische Industrie befand sich insofern in ungünstiger Lage,
als bei weitem der größte Teil der Heeresaufträge in
Berlin vergeben wurde, entsprechend dem großen preu-
ischen Heereskontingent und wegen der Tatsache, daß der
Sitz der wichtigsten militärischen Behörden des Heeres und
der Marine in Berlin sich befand. Es feblte diesen Behörden
aber von Anfang an der Uberblick über die Produktions-=
werkstätten und die Erzeugungsfählgkeit der Industrie in
den einzelnen Bundesstagten, namentlich in Sachsen; auch
waren sehr häufig nicht genügend wirtschaftlich durchgebil-
dete Kräfte bei den vergebenden Stellen tätig, da die Aus-
wahl der bei ihnen tätigen Offiziere mehr nach militärischen
als nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten erfolgte. Dazu
kam, namentlich in der ersten Hälfte der Kriegszeit, die
außerordentliche Dringlichkeit des Bedarfes. Ganze Armee-
korps mußten in kürzester Frist neu aufgestellt und aus-
gerüstet twerden, so daß die hiermit beauftragten Stellen die
Waren dort hernahmen, wo sie dieselben am schnellsten
und ohne große Umstände bekommen konnten. So kam es
denn, daß ein Heer von Zwischenhändlern und Schie-
bern sich an die militärischen Vergebungsstellen heran-
machte, die große Aufträge im Werte von Hunderttausen-
den von Mark erhielten und diese dann mit erheblichem
Zwischengewinn bei den Indusiriellen Sachsens unterzu-
bringen suchten. Trotz aller energischen Versuche, dieses Un-
wesen zu beseitigen, ist während der ganzen Dauer des
Krieges gerade in Sachsen die Klage nicht verstummt, daß
der Fabrikant häufig trotz größter Mühe und Rührigkeit
nicht in der Lage war, die Aufträge dort zu erhalten, wo
man sie erteilte, sondern sie sich aus zweiter oder dritter
Hand geben lassen mußte, bei welchem Verfahren die Zwi-
schenhändler natürlich erhebliche Gewinne machten. In
Sachsen sind infolgedessen viele Fabrikanten nur die aus-
führenden Werbleiter von Leuten gewesen, die eigentlich
zum Empfang der Aufträge nicht berechtigt waren, und es
ist jedenfalls die große Produktionsfähigkeit der sächsischen
Industrie nicht in dem Maße ausgenützt worden, wie das
im Interesse der sächsischen Volkswirtschaft erwünscht und
auch durchaus möglich gewesen wäre, wenn sich die vergeben-
den Stellen immer an die richtigen Adressen, die industriellen
Verbände und die Handelskammern zur Erlangung von Ver-