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der Kriegörohstoff-Abteilung des Preußischen
Kriegsministeriums, letztere unter derjenigen des Reichs-
amtes des Innern und des Kriegsernährungsamtes mit
Unterabteilungen für Sachsen. (Landeskartoffelstelle, Lan-
desfleischstelle, Zucker-, Fettstelle, Viehhandelsverband usw.)
Allerdings war diese Trennung nicht genau durchgeführt,
vielmehr griffen die Zuständigkeiten zueinander über, so daß
schon sehr bald eine Unübersichtlichkeit in der Zuständigkeit
z. B. für Beschwerden bestand, was zu vielen Schwierig-
beiten Anlaß gegeben hat. Die Organisation der Ge-
sellschaften war sehr verschieden. Für die wichtigsten Roh-
stoffe, die Faserstoffe, Metalle, Ole, Fette, Leder, Chemi-
kalien, Betriebsstoffe usw. bestanden Gesellschaften des
Handelsrechtes, meist Aktiengesellschaften oder Gesellschaf-
ten mit beschränkter Haftung; so die Kriegsleder-, die
Kriegschemikalien-Gesellschaft, die Kriegs kammwoll-,
Kriegshadern-Gesellschaft, die Papierholzbeschaffungsstelle
m. b. H., Reichslederhandelsgesellschaft ustv. Das Kapital
wurde außer vom Deutschen Neiche von den zu der Gruppe
der betreffenden Industrie und des Handels gehörigen
Firmen aufgebracht; sie stellten in der Regel auch die
Mehrzahl der Mitglieder der Verwaltungsorgane. So be-
fand sich das Kapital der Kriegsleder-Aktiengesellschaft zu
40 % im Besitz des Reiches, 60 % hatten 42 deutsche Ger-
bereifirmen aufgebracht. Daneben bestanden Verbände
für die Beschaffung wichtigen, in großen Mengen benötig-
ten Heeresbedarfes: Der Kriegsleder-Ausrüstungsver-
band, der Kriegsgarn= und Tuchverband, der Kriegs-
wirk= und Strickverband, der Kriegsausschuß für
Baumwolle, für Wolle, für Leinen und Flachs, für Seide,
für Ersatzfaserstoffe usw. Diese letzteren Gesellschaften
hatten, soweit es nicht Ausschüsse waren, meist die Form
von eingetragenen Vereinen und waren auch in dieser
Weise organisiert. Zu Mitgliedern zählten sie, — in der
Negel nicht alle dazugehörigen — Firmen aus Handel und
Industrie der betreffenden Branche, und ihre Verwaltungs-
organe waren meist aus diesen Kreisen genommen. Sehr
bäufig schlossen sich die Kriegsverbände an bereits be-
stehende Organisationen der Industrie und des Handels
an oder gingen aus ihnen hervor. In allen Gesellschaften
hatte das Preusiische Kriegsministerium bzw. die Kriegs-
rohstoff-Abteilung des Kriegosministeriums Aufsichtsrechte,
in den Rohstoffgesellschaften und in den für die Versorgung
der Zivilbevölkerung auch die Reichsbehörden. Die Voll-
machten der Gesellschaften waren sehr weitgehend;
sie hatten das Recht der Beschlagnahme im Auftrage
der Kriegsrohstoff-Abteilung, verteilten die Nohstoffe und,
soweit die Verbände zur Beschaffung von Heeresartikeln
oder Bedarfsgegenständen der Zivilbevölkerung in Frage
kamen, die Aufträge. Nur wer solche Aufträge hatte,
erhielt Nohstoffe, Betriebsmittel und Halbfabrikate, soweit
dieselben im freien Handel nicht mehr zu erhalten waren.
Die Gesellschaften zur Versorgung der Zivilbevölkerung:
Die Reichsgetreidestelle, die Reichsfleischstelle, die Reichs-
fettstelle, die Reichszuckerstelle, die Seifengesellschaft, die
Schuhgesellschaft arbeiteten in ähnlicher Weise, nur daß
sie für den Bedarf der Zivilbevölberung zuständig waren,
während das Heer und die Marine meist von besonders
dafür zuständigen Gesellschaften und Verbänden versorgt
wurden. Für die Industrien, die nicht für das Heer
oder nur teilweise für dieses, daneben aber noch für Er-
port und Privatbedarf arbeiteten, bestanden teilweise wieder
andere Organisationen, die zu prüfen hatten, inwieweit
beschlagnahmte Rohstoffe für diesen Privatbedarf freige-
geben werden dürften, so z. B. die Freigabestelle für Me-
talle, für Leder, die Metallberatungsstelle, die Riemen=
freigabestelle usp. Je mehr die Rohstoffknappheit anstieg,
desto mehr Gegenstände wurden in den Kreis der staatlichen
Bewirtschaftung, ausgeübt durch Kriegagesellschaften, ge-
zogen; so waren z. B. anfangs nur die sogenannten Spar-
metalle, Kupfer, Zinn, Messing, Blei usw. bewirtschaftet.
Später kamen auch Eisen und Stahl, Treibriemen, Schmier-
mittel, Holz, Zement, Kohle, Gas und Elekrizität usw.
dazu, und ähnlich wurde namentlich seit der vierten Periode
des Krieges der Bedarf der Zivilbevölkerung (die Be-
wirtschaftung der meisten Nahrungemittel ist schon in der
zweiten und dritten Periode angeordnet worden, wurde
aber auch auf immer weitere Nahrungsmittel ausgedehnt)
an Schuhen, Bekleidung, Wäsche, Seife usw. durch Kriegs-
gesellschaften bewirtschaftet, rationiert und durch Bezugs-
und Freigabescheine usw. verteilt, meist auch durch Höchst-
preisbestimmungen im Preise festgelegt. Auch für die Land-
wirtschaft waren eine Reihe von Gesellschaften tätig,
so z. B. der Kriegsausschuß für Ersatzfette, die Bezugs-
vereinigung der deutschen Landwirte, die landwirtschaftliche
Betriebsstelle, die Gesellschaft für Milchkraftfutter usw.
Ferner gab es Schiedsgerichte, Abrechnungsstellen, Melde-
stellen für Metalle, Kautschuk, Faserstoffe usw., Kom-
missionen für Begutachtung von Preisen, Zentralstellen für
die Ein= und Ausfuhr, Gesellschaften für die Förderung
des Anbaues von Flachs, Nessel, Verwertungsgesellschaften
für Lumpen, Torf, Kontrollstellen für freigegebenes Metall,
Leder usw., kurz man kann sagen, beinahe für jeden wirt-
schaftlichen Zweck wurde eine Gesellschaft oder ein Aus-
schuss geschaffen, wobei oft ganz verwandte Gebiete von
verschiedenen Ausschüssen bewirtschaftet, kontrolliert oder
sonst „verwaltet“ wurden. Die Tatsache, daß diese Ge-
sellschaften und Auoschüsse nicht nach einem vorher fest-
gestellten genau überlegten Plan, sondern immer dann,
wenn das Bedürfnis sich herausstellte oder von seiten der
Behörden als bestehend angenommen wurde, errichtet
wurden, führte allmählich zu einem so unübersichtlichen
Neben= und Durcheinander, daß sich kaum Eingeweihte
mehr zurecht fanden und der Industrielle oft lange von einer
Stelle zur andern lief, ehe er die rechte gefunden hatte.
Noch unübersichtlicher war das Netz der zahllosen Ver-
ordnungen, Gesetze, Richtlinien, Bestimmungen, die im
Zusammenhang mit dieser staatlichen Organisation von
Reich, Staat, Gemeinden erlassen wurden, so daß schließlich
selbst geschulte Juristen und Verwaltungstechniker den Ver-
such des Sichzurechtfindens als aussichtslos bezeichneten.
Die sächsische Industrie sah sich in dieser ganzen Or-
ganisation dadurch benachteiligt, daß zunächst einmal alle
diese Gesellschaften oder doch wenigstens die ganz über-
wiegende Zahl derselben in Berlin stationiert wurde. Da-
durch geriet man geradezu in eine wirtschaftliche Ab-
bängigkeit von der Reichshauptstadt und wurde genötigt,
dorthin entweder häufig zu reisen, um persönlich mit den
Gesellschaften zu verhandeln, oder, wie das namentlich in
den späteren Perioden des Krieges geschah, eine ständige
Vertretung dort zu unterhalten. Ferner stellte sich sehr
bald heraus, daß die Organe der Gesellschaften, ihre lei-
tenden Beamten, nur selten mit solchen Männern besetzt
waren, die das sächsische Industriegebiet und seine
besonderen Eigenheiten kannten, während sehr häufig
bestimmte andere Industriegebiete einen beherrschenden
Einfluß ausübten. So war z. B. im Kriegswirk= und
Strickverband die süddeutsche Wirkwarenindustrie von
großem Einfluß, während Sachsen, das ebenfalls eine
bedeutende Industrie dieser Art, allerdings von einer
anderen Spezialität (mehr die Feinindustrie), aufweist, nicht
auvreichend vertreten war. Daß, wie erwähnt, in der
Kriegsleder-Aktiengesellschaft 42 deutsche Gerbereifirmen
60 0% der Aktien in Händen hatten, beweist schon, daß
nur ein Teil dieser Industrie den maßgebenden Einfluß
ausübte. Die sächsische Gerberei war denn auch nicht
ausreichend vertreten. Die Leiter der Kriegsmetall-Aktien-
gesellschaft waren lediglich von den großen Konzernen des