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des Krieges besonders, um dort die Ernährungsmöglichkeiten
zu verbessern. Die bessere Ernährung war übrigens auch ein
besonderes Zugmittel der Rüstungsindustrie, da die darin be-
schäftigten Arbeiter in der letzten Zeit des Krieges besondere Zu-
lagen, sogenannte „Schwerarbeiterzulagen“ an Lebensmitteln,
erhielten. Der durch dieses Abwandern von Arbeitskräften
in Sachsen teilweise hervortretende Mangel an Facharbei-
tern und für schiwere Arbeit leistungsfähigen Arbeitskräften
führte zur Beschäftigung der Kriegsgefangenem
in fast allen Industriezweigen, besonders auch im Bergbau,
wo die Einziehung der bräftigen Bergarbeiter sehr bald eine
große Kalamität für die Produktion mit sich brachte. Die
Erfahrungen mit den Kriegsgefangenen sind nicht gut
gewesen; ihre Verpflegung war schwierig, auch erwiesen
sie sich mit nicht allzu vielen Ausnahmen als nicht leistungs-
fähig und arbeitsunwillig, namentlich mit der langen Dauer
des Krieges. Der Bericht der Gewerbeaufsichtsbeamten hebt
noch besonders hervor, daß sie häufig bezüglich der Ver-
pflegung den Unwillen der einheimischen Arbeiter erregten,
die nicht selten in der Kost viel kärglicher gestellt waren
als die Kriegsgefangenen, von denen die Franzosen und
Engländer in der Regel sehr viel Lebensmittelsendungen aus
der Heimat erhielten. "
Die Lohnverhältnisse der Arbeiterschaft haben sich
während des Krieges grundlegend geändert. Die Löhne blie-
ben nach Kriegsausbruch zunächst auf der alten Höhe stehen.
In der ersten Zeit wurden unter dem Einfluß des Arbeits-
mangels sogar auch Lohnherabsetzungen vorgenommen. Sehr
bald aber kam es zu erheblichen Lohnsteigerungen; es gab
insbesondere auch mit dem Steigen der Ausgaben für Nah-
rung, Kleidung und sonstige Lebensbedürfnisse wiederholt
Teuerungszulagen, insbesondere auch in sehr vielen Fällen
zur Lieferung von Lebensmitteln, Kohlen usw. durch die Be-
triebe. Die Forderungen der Arbeiter mußten fast immer
bewilligt werden, da der Mangel an Arbeitskräften die Betriebe
veranlaßte, ihre Leute zu halten, auch sehr häufig durch
Eingreifen der Militärbehörden, Schlichtungsausschüsse usw.
Lohnerhöhungen festgesetzt wurden. Die aufsteigende Be-
wegung in den Löhnen setzte lols ein und ist seitdem nicht
wieder zum Stehen gekommen, hat aber erst in der Zeit der
Revolution wieder einen Umfang angenommen, der die
Existenz= und Produktionsmöglichkeit vieler Betriebe in Frage
stellt, wenn es ihnen nicht gelingt, auch die Preise für
ihre Fabrikate dauernd auf der Höhe zu halten. Es
ist hier nicht der Ort, im einzelnen auf diese Lohn-
bewegungen einzugehen; sie sind ein Kapitel für sich, das
eingehender Darstellung noch bedarf. Aber in einzelnen,
von den Gewerbeaufsichtsbeamten angeführten, Beispielen
seien die Unterschiede klargemacht, die in der Entlohnung
der Arbeiter zwischen 1914 und 1018 bestehen. So ver-
dienten im Chemnitzer Bezirk Former und Gießer
1914 0,60 —1,40 Mark, Ende lo#s dagegen 1,76 bis
3,48 Mark die Stunde. Im Leipziger Bezirk sind in
einer Munitionsfabrik, welche in der Hauptsache Munitions=
teile herstellte, die Jahresverdienste der Schlosser von
1910 Mark im Jahre 1914 auf 5675 Mark in lols ge-
stiegen. Dreher hatten 1014 ein Jahreseinkommen von
1027 Mark, im Jahre 1918 dagegen von 8184 Mark, Hob-
ler batten eine Steigerung von 1991 Mark auf 3336 Mark
Jahresverdienst, Bohrer eine solche von 1871 Mark auf
7690 Mark zu verzeichnen. Jugendliche Arbeiter verdienten
im Döbelner Bezirk in Maschinenfabriken, Betrieben der
Metallverarbeitung vor dem Kriege 6—28 Mark pxro Woche,
am Ende des Krieges dagegen 9—48 Mark. Auch sonst
haben die Betriebgunternehmer versucht, an der He-
bung und Besserung der bedrängten wirtschaftlichen Lage
der Arbeiter mitzuwirken. Diese Unterstützungen geschaben
auf die verschiedenste Weise durch Einrichtung von Fabrik-
küchen, in welchen unter Selbstkostenpreis nahrhafte Speisen
verabreicht wurden, Einrichtung von Verkaufsstellen für
Lebensmittel, Gewährung von Landstücken zum Anbau von
Kartoffeln, Erlaß der Miete oder Beihilfen dazu, Lieferung
von Kohlen, Vollbezahlung der gekürzten Arbeitszeit, Ab-
gabe von Kleidern unter Selbstkostenpreis u. a. m.
Verdiente Anerkennung muß auch die Fürsorge fin-
den, welche die meisten Unternehmer den Familien ihrer zum
Heeresdienst einberufenen Arbeiter und Angestellten zugewen-
det haben. Fast alle Betriebe leisteten Geldunterstützungen an
Frauen und Kinder, gaben Weihnachtsgeschenke, unterstützten
die Familien in besonderen Notfällen. Es sind auf dlese Weise
große Summen für derartige wohltätige Zwecke ausgeworfen
werden; nur konnten wegen der langen Dauer des Krieges
nicht alle Betriebe diese Unterstützungstätigkeit durchhalten,
sondern mußten sie nach und nach einschränken, namentlich
dann, wenn die Wirtschaftslage des Unternehmens oder des
Industriezweiges sich verschlechterte. In der Tertilindustrie
trat übrigens eine staatliche Unterstützung der An-
gestellten und Arbeiter in der sogenannten „Textil-
arbeiterfürsorge“ ein, welche für die ausgefallene Ar-
beitszeit gewisse Unterstützungsbeträge vorsah; auch darf
nicht unerwähnt bleiben, daß die Gewerkschaften unter-
stützungen der verschiedensten Art an ihre Mitglieder aus-
gezahlt haben, um ihnen in den schwierigen Zwischenfällen
des Krieges beizustehen.
Eine ganz besondere Rolle haben während des Krieges
die Arbeiterinnen in der Industrie gespielt. In dem
Maße, wie die männlichen Arbeiter durch Einziehung zum
Heeresdienst ihrer Arbeit entzogen wurden, mußten Frauen
ihre Plätze ausfüllen, weshalb auch ihre Zahl absolut und
im Verhältnis zur gesamten Arbeiterzahl, wie oben an-
gegeben, erheblich gestiegen ist. Zwar ist in einzelnen, durch
den Krieg betroffenen Industriezweigen, namentlich in der
Textilindustrie, ihre Jahl zurückgegangen, sie hat sich dafür
aber in anderen Industriezweigen erheblich erhöht und ist
z. B. in der Maschinen= und chemischen Industrie
auf das Sechsfache, in der Papier= und Holzindustrie auf
das Doppelte gestiegen. Die Arbeiterinnen mußten natur-
gemäß vielfach auch schwerere Arbeiten übernehmen,
für die sie im Frieden niemals herangezogen worden wären;
die Arbeitsgebiete, in denen sie verwendet wurden, sind so
zahlreich, daß wir sie hier nicht alle aufführen können.
Sie arbeiteten, um nur einige Beispiele zu nennen, an
schweren und teilweise gefährlichen Maschinen, in Muni-
tionsfabriken, an Schmelz= und Schmiedeöfen, bedienten
den Dampfkessel, waren in der Metallindustrie beim Kern-
machen, Formen, Gußputzen, an Pressen, Stanzen (die
sie schon im Frieden bedient hatten, jetzt aber mit schweren
Arbeiten) beschäftigt, arbeiteten an Drehbänken, Bohr-,
Fräs= und Hobelmaschinen, waren in einzelnen Fällen so-
gar als Hilfsschlosser tätig, bedienten Kreis-, Band= und
Pendelsägen, verrichteten Transportarbeiten, wurden in den
Munitionsfabriken zum Granatendrehen, zur Jünderfabri-
kation, zum Füllen mit Munition, zum Nachprüfen der
Munitionsbestandteile vertvendet.
Die weitgehende Arbeitsteilung und die Verwendung von
automatischen Maschinen, die selbständig arbeiteten und nur
eine genaue Aufsicht verlangten, erleichterten die Verwen-
dung der Frau in der Munitionsindustrie sehr. Selbst im
Bergbau sind die Arbeiterinnen in größerem Umfange
tätig gewesen, sie wurden außer zu häuslichen Arbeiten,
zum Kohlensortieren und zur Platzarbeit und sonst auch
im Tagesbau verwendet. Naturgemäß mußten die ziemlich
scharfen Bestimmungen der Gewerbeordnung
über Frauenarbeit gemildert und manche Beschrän-
kungen aufgehoben werden, es wäre sonst nicht möglich ge-
wesen, die Arbeitsplätze der Männer mit Frauen so weit-
gehend zu besetzen wie es geschehen ist. Für die Einrich-
tung der Frauen wurden von großen Betrieben Anlernwerk-