Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

410 
des Krieges besonders, um dort die Ernährungsmöglichkeiten 
zu verbessern. Die bessere Ernährung war übrigens auch ein 
besonderes Zugmittel der Rüstungsindustrie, da die darin be- 
schäftigten Arbeiter in der letzten Zeit des Krieges besondere Zu- 
lagen, sogenannte „Schwerarbeiterzulagen“ an Lebensmitteln, 
erhielten. Der durch dieses Abwandern von Arbeitskräften 
in Sachsen teilweise hervortretende Mangel an Facharbei- 
tern und für schiwere Arbeit leistungsfähigen Arbeitskräften 
führte zur Beschäftigung der Kriegsgefangenem 
in fast allen Industriezweigen, besonders auch im Bergbau, 
wo die Einziehung der bräftigen Bergarbeiter sehr bald eine 
große Kalamität für die Produktion mit sich brachte. Die 
Erfahrungen mit den Kriegsgefangenen sind nicht gut 
gewesen; ihre Verpflegung war schwierig, auch erwiesen 
sie sich mit nicht allzu vielen Ausnahmen als nicht leistungs- 
fähig und arbeitsunwillig, namentlich mit der langen Dauer 
des Krieges. Der Bericht der Gewerbeaufsichtsbeamten hebt 
noch besonders hervor, daß sie häufig bezüglich der Ver- 
pflegung den Unwillen der einheimischen Arbeiter erregten, 
die nicht selten in der Kost viel kärglicher gestellt waren 
als die Kriegsgefangenen, von denen die Franzosen und 
Engländer in der Regel sehr viel Lebensmittelsendungen aus 
der Heimat erhielten. " 
Die Lohnverhältnisse der Arbeiterschaft haben sich 
während des Krieges grundlegend geändert. Die Löhne blie- 
ben nach Kriegsausbruch zunächst auf der alten Höhe stehen. 
In der ersten Zeit wurden unter dem Einfluß des Arbeits- 
mangels sogar auch Lohnherabsetzungen vorgenommen. Sehr 
bald aber kam es zu erheblichen Lohnsteigerungen; es gab 
insbesondere auch mit dem Steigen der Ausgaben für Nah- 
rung, Kleidung und sonstige Lebensbedürfnisse wiederholt 
Teuerungszulagen, insbesondere auch in sehr vielen Fällen 
zur Lieferung von Lebensmitteln, Kohlen usw. durch die Be- 
triebe. Die Forderungen der Arbeiter mußten fast immer 
bewilligt werden, da der Mangel an Arbeitskräften die Betriebe 
veranlaßte, ihre Leute zu halten, auch sehr häufig durch 
Eingreifen der Militärbehörden, Schlichtungsausschüsse usw. 
Lohnerhöhungen festgesetzt wurden. Die aufsteigende Be- 
wegung in den Löhnen setzte lols ein und ist seitdem nicht 
wieder zum Stehen gekommen, hat aber erst in der Zeit der 
Revolution wieder einen Umfang angenommen, der die 
Existenz= und Produktionsmöglichkeit vieler Betriebe in Frage 
stellt, wenn es ihnen nicht gelingt, auch die Preise für 
ihre Fabrikate dauernd auf der Höhe zu halten. Es 
ist hier nicht der Ort, im einzelnen auf diese Lohn- 
bewegungen einzugehen; sie sind ein Kapitel für sich, das 
eingehender Darstellung noch bedarf. Aber in einzelnen, 
von den Gewerbeaufsichtsbeamten angeführten, Beispielen 
seien die Unterschiede klargemacht, die in der Entlohnung 
der Arbeiter zwischen 1914 und 1018 bestehen. So ver- 
dienten im Chemnitzer Bezirk Former und Gießer 
1914 0,60 —1,40 Mark, Ende lo#s dagegen 1,76 bis 
3,48 Mark die Stunde. Im Leipziger Bezirk sind in 
einer Munitionsfabrik, welche in der Hauptsache Munitions= 
teile herstellte, die Jahresverdienste der Schlosser von 
1910 Mark im Jahre 1914 auf 5675 Mark in lols ge- 
stiegen. Dreher hatten 1014 ein Jahreseinkommen von 
1027 Mark, im Jahre 1918 dagegen von 8184 Mark, Hob- 
ler batten eine Steigerung von 1991 Mark auf 3336 Mark 
Jahresverdienst, Bohrer eine solche von 1871 Mark auf 
7690 Mark zu verzeichnen. Jugendliche Arbeiter verdienten 
im Döbelner Bezirk in Maschinenfabriken, Betrieben der 
Metallverarbeitung vor dem Kriege 6—28 Mark pxro Woche, 
am Ende des Krieges dagegen 9—48 Mark. Auch sonst 
haben die Betriebgunternehmer versucht, an der He- 
bung und Besserung der bedrängten wirtschaftlichen Lage 
der Arbeiter mitzuwirken. Diese Unterstützungen geschaben 
auf die verschiedenste Weise durch Einrichtung von Fabrik- 
küchen, in welchen unter Selbstkostenpreis nahrhafte Speisen 
verabreicht wurden, Einrichtung von Verkaufsstellen für 
Lebensmittel, Gewährung von Landstücken zum Anbau von 
Kartoffeln, Erlaß der Miete oder Beihilfen dazu, Lieferung 
von Kohlen, Vollbezahlung der gekürzten Arbeitszeit, Ab- 
gabe von Kleidern unter Selbstkostenpreis u. a. m. 
Verdiente Anerkennung muß auch die Fürsorge fin- 
den, welche die meisten Unternehmer den Familien ihrer zum 
Heeresdienst einberufenen Arbeiter und Angestellten zugewen- 
det haben. Fast alle Betriebe leisteten Geldunterstützungen an 
Frauen und Kinder, gaben Weihnachtsgeschenke, unterstützten 
die Familien in besonderen Notfällen. Es sind auf dlese Weise 
große Summen für derartige wohltätige Zwecke ausgeworfen 
werden; nur konnten wegen der langen Dauer des Krieges 
nicht alle Betriebe diese Unterstützungstätigkeit durchhalten, 
sondern mußten sie nach und nach einschränken, namentlich 
dann, wenn die Wirtschaftslage des Unternehmens oder des 
Industriezweiges sich verschlechterte. In der Tertilindustrie 
trat übrigens eine staatliche Unterstützung der An- 
gestellten und Arbeiter in der sogenannten „Textil- 
arbeiterfürsorge“ ein, welche für die ausgefallene Ar- 
beitszeit gewisse Unterstützungsbeträge vorsah; auch darf 
nicht unerwähnt bleiben, daß die Gewerkschaften unter- 
stützungen der verschiedensten Art an ihre Mitglieder aus- 
gezahlt haben, um ihnen in den schwierigen Zwischenfällen 
des Krieges beizustehen. 
Eine ganz besondere Rolle haben während des Krieges 
die Arbeiterinnen in der Industrie gespielt. In dem 
Maße, wie die männlichen Arbeiter durch Einziehung zum 
Heeresdienst ihrer Arbeit entzogen wurden, mußten Frauen 
ihre Plätze ausfüllen, weshalb auch ihre Zahl absolut und 
im Verhältnis zur gesamten Arbeiterzahl, wie oben an- 
gegeben, erheblich gestiegen ist. Zwar ist in einzelnen, durch 
den Krieg betroffenen Industriezweigen, namentlich in der 
Textilindustrie, ihre Jahl zurückgegangen, sie hat sich dafür 
aber in anderen Industriezweigen erheblich erhöht und ist 
z. B. in der Maschinen= und chemischen Industrie 
auf das Sechsfache, in der Papier= und Holzindustrie auf 
das Doppelte gestiegen. Die Arbeiterinnen mußten natur- 
gemäß vielfach auch schwerere Arbeiten übernehmen, 
für die sie im Frieden niemals herangezogen worden wären; 
die Arbeitsgebiete, in denen sie verwendet wurden, sind so 
zahlreich, daß wir sie hier nicht alle aufführen können. 
Sie arbeiteten, um nur einige Beispiele zu nennen, an 
schweren und teilweise gefährlichen Maschinen, in Muni- 
tionsfabriken, an Schmelz= und Schmiedeöfen, bedienten 
den Dampfkessel, waren in der Metallindustrie beim Kern- 
machen, Formen, Gußputzen, an Pressen, Stanzen (die 
sie schon im Frieden bedient hatten, jetzt aber mit schweren 
Arbeiten) beschäftigt, arbeiteten an Drehbänken, Bohr-, 
Fräs= und Hobelmaschinen, waren in einzelnen Fällen so- 
gar als Hilfsschlosser tätig, bedienten Kreis-, Band= und 
Pendelsägen, verrichteten Transportarbeiten, wurden in den 
Munitionsfabriken zum Granatendrehen, zur Jünderfabri- 
kation, zum Füllen mit Munition, zum Nachprüfen der 
Munitionsbestandteile vertvendet. 
Die weitgehende Arbeitsteilung und die Verwendung von 
automatischen Maschinen, die selbständig arbeiteten und nur 
eine genaue Aufsicht verlangten, erleichterten die Verwen- 
dung der Frau in der Munitionsindustrie sehr. Selbst im 
Bergbau sind die Arbeiterinnen in größerem Umfange 
tätig gewesen, sie wurden außer zu häuslichen Arbeiten, 
zum Kohlensortieren und zur Platzarbeit und sonst auch 
im Tagesbau verwendet. Naturgemäß mußten die ziemlich 
scharfen Bestimmungen der Gewerbeordnung 
über Frauenarbeit gemildert und manche Beschrän- 
kungen aufgehoben werden, es wäre sonst nicht möglich ge- 
wesen, die Arbeitsplätze der Männer mit Frauen so weit- 
gehend zu besetzen wie es geschehen ist. Für die Einrich- 
tung der Frauen wurden von großen Betrieben Anlernwerk-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.