Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

Die Schaffung des Meßamtes war eine Tat. Heute, nach- 
dem das Meßamt drei Jahre in Wirksamkeit ist, überblickt 
man seine gewaltige Tätigkeit mit uneingeschränkter An- 
erkennung und Bewunderung. 
Am 18. August 1916 wurde dem Verein „Meßamt für 
die Leipziger Mustermessen in Leipzig“ von dem Königlich 
Sächsischen Ministerium des Innern nach §# 22 des Bürger- 
lichen Gesetzbuches die Rechtsfähigkeit (der Charakter einer 
juristischen Person) verliehen. 
Die Mittel zu seiner Tätigkeit fließen dem Amte 
durch jährliche Zuschüsse des Deutschen Reiches (700 ooo 
Mark), des Königreiches, jetzigen Freistaates Sachsen 
(200 ooo Mark) und der Stadt Leipzig (130 Ooo Mark, 
nicht nur, wie zuerst beschlossen war 100 Ooo Mark) zu. 
Dazu treten die von den beteiligten Kreisen zu entrichtenden 
Beiträge, die die Voraussetzung bildeten für jene behörd- 
lichen Zuschüsse. Es hat nämlich jeder, der in Leipzig einen 
Raum oder Stand zu den Mustermessen an Aussteller ver- 
mietet, sowie jeder, der zu den Mustermessen in Leipzig 
Muster ausstellt, einen Beitrag zu zahlen. In der Haupt- 
sache werden die Einnahmen zu einer umfassenden Werbe- 
tätigkeit verwendet. Dabei will aber das Meßamt nichtt 
einzig die Mustermessen als solche fördern, sondern es be- 
trachtet ihre Förderung unter dem alleinigen Gesichtspunkte 
des Nutzens, den das gesamte deutsche Wirtschaftsleben 
und seine Glieder daraus ziehen. 
Zunächst fand das neue Amt eine gastfreundliche Unter- 
kunft in den Räumen der Handelskammer, bis es am 
21. Mai 1917 in seine ihm zugedacht gewesenen Dienst- 
räume in dem historischen Gebäude der sogenannten „Alten 
Waage“ im innersten Zentrum der alten Meßstadt (Ecke 
Markt und Katharinenstraße) beziehen konnte. Mit den 
reichen Mitteln, die dem neuen Meßamte zur Verfü- 
gung standen, konnte es von vornherein in großzügigster 
Weise arbeiten. Es hat vom Anfang an, dank seiner 
vorzüglichen Ober= und der einzelnen Abteilungsleitung, 
einen Weg beschritten, der zu den vorher kaum ge- 
ahnten Erfolgen in der Entwicklung der Leipziger Muster- 
messen führen mußte, die jeder, selbst der Feind, nur mit 
Staunen bewundert hat. Und das mitten im Kriege! Daß 
dabei die Arbeit immer mehr anschwoll, kommt am deut- 
lichsten zum Ausdruck erstens in der Zunahme des Personals, 
dann in der schnellen Besitzergreifung des Gebäudes der 
„Alten Waage“, das nur noch in einem ganz unbedeutenden 
Teile anderen Bureauzwecken dient und dienen muß, bis 
der Vertrag des jetzigen Abmieters abgelaufen sein wird. 
Und nun zurück zu den Kriegsmessen! Am 7. März 1916 
besuchten etwa 30 Vertreter neutraler Zeitungen die Leipziger 
Ostervormesse. Bei ihrem Empfang in den Prunkräumen 
der Leipziger Handelskammer konnte ihnen mit einigen 
vielsagenden Jahlen aufgewartet werden (daß Meßamt war 
damals erst im Entstehen begriffen). Da hieß es: Die 
Jahl der Bescheinigungen für Fahrpreisermäßigung zur 
Messe betrug allein bis zum 4. März, am übernächsten 
Tage begann die Messe, rund 25 000 Stück. Da jedoch 
die Reise nach Leipzig bis mit 10. März angetreten werden 
konnte, dürfe sie sich noch um einige Tausend erhöhen. 
Von den 25 000 Stück Fahrtausweisen fielen rund 5000 
auf Meßbesucher aus dem Auslande, nämlich 2500 auf Be- 
sucher aus Osterreich-Ungarn, 700 aus Dänemark, 700 aus 
den Niederlanden, 350 aus der Schwelz, 350 aus Schweden, 
200 aus Norwegen, lo# aus Belgien, 39 aus Rußland, 
32 aus Amerika, 30 aus Luremburg, aus den Balkan- 
staaten usw. Die Zahl der Aussteller zeigte sich in stetem 
Steigen begriffen. Zur Frühjahrsmesse 1915 waren 2002 
Aussteller gekommen d. h. Firmen vertreten, jetzt (1916) 
waren es 2438 Firmen. 
Die zur richtigen Verteilung und besseren Verwendung 
einiger Rohstoffe erfolgten Beschlagnahmen hatten die davon 
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betroffenen Industriezweige augenscheinlich durchaus nicht 
lahmgelegt. Das damals noch vom Meßausschuß der 
Handelskammer bearbeitete und herausgegebene Offizielle 
(amtliche) Meßadreßbuch wies z. B. unter Gummiwaren 
noch mehr als zwanzig Aussteller und unter Metallwaren 
noch mehr als hundert Aussteller auf. Die verschiedenen 
Industriezweige nahmen an dieser Frühjahrsmesse 1916 
nicht nur in erheblichen, teilweise an den Friedensstand 
heranreichenden Ziffern teil, sondern es hatten sich in den 
zwei Kriegsjahren einzelne Industriezweige sogar wesentlich 
erweitert oder auch neu gebildet. So waren zu dieser Messe 
unter den Ausstellern rund 30 Firmen mit Feldpostartikeln 
und rund §0 Firmen mit Militärartikeln, wie Feldbestecke, 
Taschenlampen, zusammenlegbare Trinkbecher, Schreibaus- 
stattungen, Kochapparate und Heizmittel dazu, Radium= 
uhren, Kartentaschen, Papiertaschentücher, Blechschachteln, 
Kartonnagen zum Feldversand, Taschenmesser, hygienische 
Artikel, Fußcreme, Tabakpfeifen, Tabakbeutel, Zahnbürsten, 
Koppelschloßhalter, Mundharmonikas, Blech= und Alumi- 
miniumbehälter, Beschäftigungsspiele im verkleinerten For- 
mat und vieles andre, alles schon an der Ausstattung und 
Aufmachung als für den Gebrauch unserer braven Feld- 
grauen im Schützengraben eigens hergestellt. Und während 
in Friedenszeiten z. B. Militärrequisiten für Kinder von 
neun Firmen ausgestattet wurden, wies dieses Mal das 
Adressbuch deren zwölf auf, und die Zahl der Aussteller 
von Blei-, Zinn= und Papiermasse-Soldaten entsprach fast 
genau den Friedensziffern. 
Als charakteristisches Moment dieser Kriegsmesse in der 
sächsischen alten Handelsempore muß die Wahrnehmung 
verzeichnet werden, daß sich der Ersatz ausländischer Artikel 
durch deutsche Fabrikate schon ganz bedeutend bemerkbar 
machte., Zahlreiche Gegenstände, die man früher fast rein 
gewohnheitsmäßig aus dem Auslande in Deutschland be- 
zogen hatte, stellten sich nun als gleichwertige, vollwertige 
deutsche Erzeugnisse ein. Namentlich das Fehlen gewisser 
englischer Artikel fiel infolgedessen gar nicht mehr auf, 
weil sie, dank dem deutschen Ersatz, gar nicht vermißt 
wurden. " 
Alles in allem: Selbst die größten Optimisten hatte diese 
Frühjahromesse noch angenehmn überraschen können, so.vohl 
hinsichtlich der Zahl der erschienenen Meßbesucher, als auch 
binsichtlich des von den Ausstellern Gebotenen und der von 
den Einkäufern erteilten Aufträge. Eine Geschmacks- 
verbesserung war festzustellen, die sich auch oder be- 
sonders in den sogenannten Kriegserzeugnissen offen- 
barte. Man sah nun nicht mehr auf jedem Stück ein 
Eisernes Kreuz oder sonstige Embleme, die im vorheri- 
gen Jahre den Markt in meist wenig schönen Ausfüh- 
rungen beherrschten. Die Kriegsverzierungen waren, wenn 
auch bei weitem noch nicht restlos, so doch großenteils 
in der Versenkung verschwunden. (Ein gewissermaßen Meß- 
kuriosum bildete die Tatsache, daß gewisse Muster, die unser 
charakteristisches Kriegsgerräge trugen, wie Hindenburgs 
Bildnis, das 42-gentimetergeschütz, genannt „Dicke Berta“, 
Nationalfarben usw., von den neutralen Ausländern in 
hohem Maße gekauft wurden.) Jene Geschmacksverbesserung 
hatte ihre Geschichte, wie manches, was wir im Weltkriege 
auch im wirtschaftlichen Leben erfahren hatten. Wie man 
bereits zu Weihnachten hatte feststellen können, neigte das 
Publikum in vorher geradezu für ummöglich gehaltener Weise 
zum Luxrus. Weihnachten hatten die Juweliere die teuersten 
Juwelen, die Bildhändler die teuersten Gemälde und 
Skulpturen verkauft, und so drängte auch auf der Vormesse 
9# alles zu den teuersten Artikeln. Die Industrie hatte 
sich mit dem ihr eigenen feinen Vorgefühl die Wünsche des 
Publikums zu eigen gemacht und war ihnen in weitestgehendem 
Maß entgegengekommen. Das Geld saß den Leuten locker 
in der Tasche, und Industrie und Handel nützten das natür- 
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