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lich aus. Besonders kam das in der Porzellan= und in der
keramischen Branche zum Ausdruck. Die feinsten Porzellane
mit Kunstmalereien waren so stark gekauft worden, daß
selbst die Fabrikanten überrascht waren. Ebenso stand es
mit den kunstgewerblichen Erzeugnissen der Keramik. Auch
teure Lederwaren wurden lebhaft gefragt. Daneben wurde
aber das Geschäft in den mittleren und billigeren Artikeln
durchaus nicht vernachlässigt. Besonders bemerkenswert
war, daß sich die damals drohenden Valutaschwierigkeiten
sehr bald behoben hatten. Die ausländischen Einkäufer
hatten sich denn auch nach kurzem Zögern sehr schnell dazu
bereit gefunden, die verlangten höheren Preise zu bezahlen.
Und das Ausland? "
Hier eine Schweizer Stinine. Die „Neue Züricher Zei-
tung“ hatte bis dahin wenig Veranlassung genommen,
deutsches Tun oder gar deutsche Erfolge mit wohlwollender
Anerkennung bekanntzugeben. Nun aber mußte selbst sie
von dieser Zurückhaltung absehen und gewissermaßen einem
zwingenden Drange folgen, der von unseren Messen aus-
ging. Sie schrieb nach Abschluß der Frühjahrsmesse:
„Jedenfalls hat Leipzig mit der heurigen Messe Ehre
eingelegt und das gesamte Deutsche Reich mit ihr erwiesen,
daß es noch lange nicht am Ende seiner Kraft angelangt
ist. Ein Staat, der so intensiv arbeitet, kann wirtschaftlich
nicht zugrunde gerichtet werden ... Wer in deutschen Zei-
tungen Berichte über den starken Besuch der Leipziger Messe
liest, ist vielleicht geneigt, diese Berichte so zu beurteilen,
als ob ein Vergrößerungsglas dabei mitgespielt habe. Als
Schweizer Meßbesucher kann ich aber mitteilen, daß die deut-
schen Berichte weder übertrieben, noch beschönigend sind,
sondern nur den Tatsachen entsprechen... Daß die Leip-
ziger Messe auch im Kriege ein Bedürfnis ist, beweist die
diesjährige ÖOstermesse.
Das Jahr lol# brachte den Meßinteressenten einige jener
Vergünstigungen, der oben gedacht worden ist. Im Verein
mit dem guten Ruf, der über die Kriegsmessen in alle Welt
gedrungen war, vermochten sie nur aufs neue belebend zu
wirken. In Leipzig selbst nahm man jetzt schon jeden Zu-
wachs als etwas nur Selbstverständliches hin, etwa wie
Eltern die dauernd vorzüglich bleibenden guten Zensuren
Fleißiger, begabter Kinder. Man wunderte sich gar nicht
mehr, daß schon vor Beginn der Herbstmesse 1916 be-
richtet wurde, der Besuch werde abermals gesteigert sein.
In der Tat war dann auch ein verhältnismäßig großer
Zuwachs zu verzeichnen, der um so bedeutungsvoller war,
weil er eine Herbstmesse betraf, die niemals so stark,
auch nicht im Frieden, besucht zu sein pflegten wie die
Ostervormessen. Das Meßadreßbuch wies rund 2600 Aus-
stellerfirmen auf gegen 2438 auf der letzten Östermesse.
Die Straßen der inneren Stadt zeigten ihr altes farben-
fröhliches und buntsprachiges Gepräge der Friedensmessen
Und präsentierten sich doppelt stimmungsvoll, weil noch
viele Fahnen und Wimpel wehten, die Leipzigs Bürgerschaft
zu Ehren der glücklich gelungenen und ruhmvollen Amerika-
fahrt des ersten Handelstauchbootes, der „Deutschland“,
aufgezogen hatten.
Diese — die Neujahrsmessen mitgezählt — siebente
Kriegomesse brachte eine, man bann sagen: sensationelle
Neuheit mit, nämlich eine „Nahrungsmittelmesse“. Den
„Trumpf“ der Messe hat man sie genannt. Welche Bedeu-
tung dem jungen Unternehmen im wahrhaften Sinne des
Wortes von seinem ersten Lebenstage an beizumessen war,
bewies der geradezu ungeheure Andrang, der auf dieser
Nahrungsmittelmesse im Meßpalast „Jeißighaus“, Neu-
markt 18, am Eröffnungstage herrschte. Ja, schon am
Tage vorher, während des Auspackens und Aufbauens der
Muster, kamen die Einkäufer und gaben Aufträge im Werte
von Hunderttausenden. Besonders die Vertreter von Stadt-
vertwaltungen betätigten sich in eifrigster Weise, eine im
Osten liegende Provinzialstadt hatte gleich am ersten Tage
allein bei einer Firma Suppenwürfel für 70000 Mark
bestellt.
Die mittlerweile doch recht dringlich gewordene Er-
nährungsfrage hat gewiß ganz besonders dahin gewirkt, daß
dieser neue Zweig der Leipziger Mustermessen sehr lebens-
kräftig und blühend werden mußte, aber gewisse Momente
sprachen doch von Anfang an dafür, daß die Nahrungs-
mitellmesse eine den Krieg überlebende, dauernde und er-
folgreiche Einrichtung bleiben wird. Sie hat sich auch
im Laufe dreier Jahre aufs beste entwickelt. Heute genügt
das Zeißighaus ihr längst nicht mehr, sie hat auch vom
„Goldenen Hirsch“ in der Petersstraße 37 und von „Hoh-
manns Hof“ auf dem Neumarkt 16 Besitz ergriffen.
Die sonstige Musterlagermesse des Herbstes bewegte sich
im allgemeinen in den Bahnen der letzten Vorgängerinnen.
Die Zahl der Aufträge stieg fast ins Riesenhafte wieder,
und man sah unter den Ausstellern keine unzufriedenen
Gesichter. Wenn sie hier und da Sorge verrieten, so war
allein das Rätsel daran schuld: Wie sollte diese Menge von
Bestellungen ausgeführt werden? Manche Aussteller, die
sonst regelmäßig gekommen waren, wurden vermißt, dafür
waren zwei neue für je einen alten gekommen, und daß der
alte fehlte, hatte seinen guten Grund: Er hatte Kriegs-
lieferungen und konnte Friedensaufträge nicht mehr über-
nehmen. Das galt z. B. von gewissen Zweigen der Musik-
instrumentenindustrie. Am meisten waren wohl auf dieser
Messe Gegenstände für den täglichen Gebrauch gefragt
worden. Preise, und wenn sie noch so hoch waren, spielten
auch auf dieser Kriegsmesse so gut wie gar keine Nolle.
Kurz nach dieser Herbstmesse, am 4. November 1916,
wurde im Deutschen Neichstag die wichtige Frage erörtert, ob
die Leipziger Messe von Reichs wegen finanziell unterstützt
werden soll oder nicht. Diese Verhandlung ist für die
Geschichte der Leipziger Messen kaum weniger bedeutungs-
voll, als das berühmte Leipziger Meßprivilegium Kaiser
Maximilians vom Jahre 1107. Und für die Geschichte
Sachsens, Leipzigs und seiner Messen in der großen geit
im besonderen ist diese Begebenheit gleich gar so wichtig,
daß sie an dieser Stelle nicht übergangen werden darf.
Nach längeren Verhandlungen sowohl in der dafür ein-
gesetzten Kommission als auch im Plenum wurde der An-
trag auf „angemessene Beihilfe“ durch Mehrheitsbeschluß
angenommen. Ee ist nicht uninteressant, angesichts der For-
derung, nähere Zahlenangaben dem Reichstag zu geben, zu
erfahren, daß man das in den Leipziger Meßhäusern ruhende
Kapital auf rund 70 Millionen Mark und den Jahres-
umsatz der Leipziger Messe auf rund 600 Millionen Mark,
also auf beträchtlich mehr als eine halbe Milliarde, schätzte.
Der Reichstagsetat für 1917 sah dann den Beitrag des
Reiches in Höhe von 700 000 Mark zur Gründung eines
Meßamtes für die Mustermesse in Leipzig vor, ein schöner
Eingruß für die neunte Kriegsmesse, die Ostervormesse 19171!
Im März, bei Beginn dieser Messe, stimmte die Budget-
kommission des Reichstages dieser Position einstimmig zu,
und schließlich fand diese Beihilfe auch die Genehmigung
des Reichstagsplenums.
Im Sachsischen Landtag trat der Staatominister von
Seydewitz sehr warm für die Bewilligung eines sächsischen
Staatszuschusses für das neue Meßamt ein. „Wenn ein
solcher erbeten wird, so bin ich überzeugt, daß Sie in Würdi-
gung der hohen vaterländischen und volkswirtschaftlichen
Bedeutung der Leipziger Mustermessen hierzu gern Ihre
Justimmung geben werden.“ Der Abgeordnete Dr. Hähnel
hielt es für „dringend notwendig, daß alles, was nur ge-
schehen kann, für die Erhaltung der Leipziger Messen ge-
schieht“, und begrüßte es, „daß in dieser Weise nicht nur
von den Leipziger Interessentenkreisen, sondern auch von
der Königlichen Staatsregierung voll und ganz dafür ein-