getreten worden ist.“ Wie weiter oben schon erwähnt wurde,
hat der Staat Sachsen denn auch einen Jahresbeitrag von
200 ooo Mark bewilligt.
Es war nicht anders zu erwarten: Ein derartiges Ein-
treten von Reich und Staat, ein derartig einmütiges Zu-
stimmen aller politischen Parteien zu erheblichen Beihilfen
für die Leipziger Messen konnte nur fördernd auf deren
Besuch wirken. Man kannte diese Stimmung der Parla-
mente ja schon, bevor sie endgültig Beschlüsse faßten. So
wurde denn die Frühjahrömesse 1917 wiederum zu einem
Ereignis. 25 10 Ausstellerfirmen waren vertreten. Die Jahl
der Einkäufer war auf 27 o00 gestiegen, und die Gesamt-
zahl der auswärtigen Besucher belief sich auf 34000 (gegen
23000 auf der vorjährigen Ostervormesse). „Stentzlers
Hof“ und die „Drei Könige“ hatten sich aufgetan und
damit den gewachsenen Betrieb erleichtert. Das Meßamt
hatte seine Tätigkeit begonnen, von Anfang an mit einer
Kraft, Umsicht und Zielsicherheit, die ihm vollen Erfolg
verbürgten. Eine Messe gewissermaßen sub auspiciis des
Reiches. Unsere „Freunde"“ des Auslandes hatten wiederum
vergeblich Anstrengungen gemacht, die Meßinteressentennicht-
deutscher Zunge abzuschrecken. Hatten sie doch in neutralen
Ländern sogar die wunderliche Mär verbreitet, daß die im
Ausland ansässigen Deutschen, wenn sie zum Besuch der
Leipziger Messe den Boden Deutschlands betreten, sofort
zum Vaterländischen Hilfsdienst eingezogen werden würden.
Es war ein bedeutsames Zusammentreffen: Auf der einen
Seite die glanzvolle Leipziger Kriegsmesse, die wiederum
alle bisherigen Messen und auch alle an sie selbst ge-
knüpften Erwartungen in jeder Beziehung übertrumpfte, und
auf der anderen Seite die gleichzeitigen französischen amtlichen
Bekanntmachungen, daß die geplante Messe in Bordeaur nicht
stattfinden könne, weil es der allgemeine wirtschaftliche
Niedergang nicht gestatte, und daß aus gleichen Gründen
auch der Plan aufgegeben sei, eine Messe in Lyon in diesem
Jahre abzuhalten! Und in Leipzig wogte und flutete das alte
Meßleben! Die Reichs= und Staatsvertreter, die die Messen.
besuchten, nahmen die aufrichtige Uberzeugung mit hinweg,
daß kein Heller verschwendet sein wird, der an diese Leipziger
Völkermärkte vergeben werden wird.
Der Sommer 1917 brachte dann dem Meßamt eine kaum
geahnte. Fülle von Tätigkeit und stiller, aber desto wirk-
samerer Werbearbeit. Aber auch andere Kreise begannen,
sich für die Erweiterung, für den Ausbau der Messen zu
interessieren. Erinnert sei an den Meinungsaustausch über
die Frage, der Leipziger Messe eine deutsche „Mode-Schau“
anzugliedern, an dem sich auch Kunstfachschriftsteller be-
teiligten. Einer von ihnen, der Direktor der Königlichen
Akademie in Leipzig, Max Seliger, sagte u. a.: „Diese An-
gliederung dürfte allen Vorteile bringen. Kommt die Mode
in fertigen Kleidern und allen ihren Hilfsprodukten zur
Messe, so werden die Schneider sich neue Materlalquellen
für den Kleiderbau erschließen, und es werden noch viele
Menschen der Mode nahegebracht, die sonst von den Mode-
industrien allein nicht berührt werden konnten. Auch die
Frauenwelt wird dann mit einem Schlage zur Messe stre-
ben und dort Einfluß auf alle Meßgewerbe gewinnen, wo-
von ich mir keinen Schaden auf deren Entwicklung ver-
spreche. Die Modefrage ist erheblich eine Frage der Form,
eine Geschmacks= und Kunstfrage. Die in der Mode wirk-
samen Eigenschaften der Kunst würden auch auf andere
Industrien der Messe abfärben. Das wäre auch ein Vorteil.
Denn nach der technischen und ästhetischen Qualität, nicht
nach der Quantität, wird sich unsere Industrie entwickeln
müssen, teils wegen der durch den Krieg verlorenen Märkte,
teils erfordert das unser bünftiger Ruf im Ausland.“ So
eröffnete sich eine Perspektive nach der andern für die Er-
weiterung Leipziger Messeentwicklung und deren Wechsel-
wirkung auf ungezählte alte und neue Meßgeschäftozweige.
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Unseren Feinden nicht zu Freude! Ihnen ließ dieser
Gang der Geschichte keine Ruhe, und immer wunderlicher
wurden ihre Gegenmittelchen. Eines der läppischsten und
naiosten war jedenfalls das von den Franzosen im neu-
tralen Ausland verbreitete, gegen die zehnte Leipziger Kriegs-
messe im Herbst 1917 gerichtete Plakat, das die brennende
Kathedrale von Reims mit dem Hinweio auf die deutsche
„Barbarei“ zeigte und aufforderte, die Leipziger Messen
nicht zu besuchen und dafür lieber — — nach Lyon zu gehen!
Alle „feindliche Liebesmühe“ war denn auch dieses Mal
wieder vergeblich gewesen. Der gesamte auswärtige Meß-
besuch belief sich auf 40 000 Besucher, also 6000 mehr als
im Frühjahr. Auch die Jahl der Aussteller war wiederum
gesbiegen, nämlich auf rund 2600. Rund 18 000 Ein-
käufer firmen (nicht Personen) hatten sich angemeldet und
waren erschienen. ,
Aus der Fülle der Einzelheiten, die dem immer mehr ge—
wohnt werdenden Allgemeinbilde der Messe dieses Mal
als neue besondere Züge ein eigenes Gepräge gaben, sei in
Kürze folgendes hervorgehoben.
Zunächst war es der Kunsthandwerker oder auch gewerb-
liche Handkünstler, der sich in angenehmer Weise bemerkbar
gemacht hat und in den verschiedensten Warengruppen sehr
liebenswürdig sich vorstellte. Aber auch in geschlossener
Form hatte er sich eingestellt. So hatte sich im ersten
Stockwerke des Städtischen Kaufhauses der Wirtschafts-
bund Sächsischer Kunsthandwerker niedergelassen und in
einer Sonder-Meßausstellung eine Gabe von überraschender
Geschmacksauslese und Feinheit dargeboten, die jedem Kunst-
liebhaber nur Freude bereiten mußte. Da waren eben Dinge
zu einem prächtigen Kranze vereint, die fabrikmäßig (in des
Wortes landläufiger Bedeutung) niemals hergestellt wer-
den können. Sehr richtig war jenes Urteil, das da sagte:
„Da jeder Aussteller sein Bestes aufgeboten hatte, bann
man sich denken, daß nichts Schablonenhaftes, Durch-
schnittliches zu finden war. Es handelte sich nur um Per-
sönlichkeitsware in edelster Gestaltung. Wo man hinsah,
sah man Neues und Schönes. Man hätte bei jedem Stück,
das mit Liebe und Sorgfalt geschaffen war, lange ver-
weilen mögen.“ Auch die Vereinigung Münchener Künst-
lerinnen war guf der Messe vertreten und hatte berechtigtes
Aufseben erregt. Man fühlte überall in diesen Gruppen
und in den einzelnen Erzeugnissen die wohltätige Einwir-
kung der modernen Bestrebungen zur Hebung des Ge-
schmackes und vor allem des Geschmackes im Kunsthand-
werk und Kunstgewerbe, zum Beispiel die segensreiche
Wirkung des unermüdlichen Deutschen Werkbundes. Gedacht
ist hierbei vor allen Dingen an die Keramil, bei ihr wieder an
die oft geradezu entzückenden Leistungen unserer Porzellanin-
dustrie. Formenschönheit und Farbenpracht, vom Schlichten
und Einfachen bis zum Pompösen, führten das Regiment. Ge-
dacht sei feener der mancherlei entzückenden Beleuchtungs-
körper, gleich beim Eintritt in die Ausstellung des Wirt-
schaftsbundes sächsischer Kunsthandwerker fielen zwei an
der Decke hängende eisengeschmiedete Leuchter durch ihre
eigenartig kunstvolle Gestaltung auf, und unter den Er-
zeugnissen der Spezialfabrikation befand sich so manches
edle Stück, das sich diesen würdig zugesellte.
Ferner gab die Industrie der Papiergarngewebe dieser
Messe ein neues Gepräge. Uber die ersten Entwicklungs-
stufen schien dieser Kriegsersatz-Fabrikatlonszweig damals
schon hinaus zu sein. Es waren nicht nur die einfachen und
einfarbigen Gewebe, die auftraten, wie Kartoffelsäcke, Stroh-
säcke, Kopfkissen ustv., sondern auch Waren aus Köper-
gewebe präsentierten sich überaus gefällig und solid. Jum
ersten Male sah man mehrfarbige Papier-„Stoffe“,
Schürzen, ganze Anzüge usw., und die Preise wirkten recht
verlockend.
Die Voigtländer Spitzenfabriken waren, zwar vereinzelt