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der Regierung durch die Stände ein. Nur die unabhängig-
sozialdemokratische Fraktion ließ durch den Abgeordneten
Fleißner in schon revolutionärer Weise erklären, daß sie
der Vorlage nicht zustimmen könnte, da andere Zeiten ge-
kommen seien und nur die Diktatur des Proleta-
riats die Forderung des Tages sein könnte. Schließlich
wurde die Vorlage gegen die drei unabhängig- sozialistischen
Stimmen angenommen (vergleiche über die Verhandlungen
Mitteilungen der II. Kammer, Seite 2166—2130).
Noch einmal fand eine Sitzung des neuen Ministeriums
Dr. Heinze am 4. November statt, als deren endgültiges
Resultat wohl die Neubildung der Regierung sich
ergab, obwohl die Beschlüsse nicht bekannt wurden (Staats-
zeitung 257).
Am §. November stellte sich die neugebildete Regierung,
in die nun die Abgeordneten Fräßdorf, Günther,
Nitzschke und Heldt eingetreten waren, der zweiten Kam-
mer vor. Der Vorsitzende des Gesamtministeriume,
Dr. Heinze, hielt jene denkwürdige Rede, die das letzte
Regierungsprogramm der sächsischen konsti-
tutionellen Monarchie darstellte (Mitteilungen der
II. Kammer, Seite 2185 ff)
Die neue Regierung tritt vor den Landtag in einer ernsten
Zeit, in einer Zeit, wo Feinde uns allerseits umstürmen,
wo der Bestand des Reiches auf dem Spiele steht, wo schwere
Sorgen für die Aufrechterhaltung unserer Wirtschaft uns
im Innern bedrängen. In solcher Zeit und aus der Zeit
heraus für die Zukunft soll unser oberster Grundsatz sein,
alle lebendigen Kräfte in den Dienst des Vater-
landes zu stellen. (Lebhaftes Sehr richtig.) Diesem
Grundsatze entsprechen die großen verfassungsrechtlichen An-
derungen im Reiche, denen die sächsische Regierung im
Bundesrate durchweg zugestimmt hat. Diesem Grundsatze
verdankt auch die gegenwärtige Regierung ihr Dasein. Die
politischen Kräfte, die im Volke wirken und in der Volks-
vertretung ihren Ausdruck vertreten, haben bei der Bildung
der Regierung mitgewirkt. Nachdem das bisherige Mini-
sterium in seiner Gesamtheit seine Amter Sr. Majestät dem
Könige zur Verfügung gestellt hatte, sind die fünf nach der
Verfassung bestehenden Ministerialdepartements im Ein-
vernehmen mit den Mehrheitsparteien der zweiten Kammer
wieder besetzt worden. Neben die fünf Fachminister treten
vollberechtigt vier Minister ohne Departement,
den Mehrbheitsparteien der zweiten Kammer
unmittelbar entnommen und auf ihren Vor-
schlag hin ernannt. Wenn in den geiten, wo alle Kräfte
auf das äußerste anzuspannen sind, Wert darauf gelegt
wurde, daß fachkundige Männer an der Spitze der Mini-
sterialdeparteinents stünden, so ist doch durch das einge-
schlagene Verfahren Gewähr dafür gegeben, daß das Ge-
samtministerium in engster Fühlung mit der
Volksvertretung sieht. Diese Fühlung aufrechtzuer-
halten, wird in erster Linie die bedeutungsvolle Aufgabe der
eigentlichen Parlamentsminister sein. Sie werden die po-
litische Haltung des Ministeriums wesentlich beeinflussen.
Als Inhaber von Landtagsmandaten, zum Teil als Vor-
sitzende ihrer Fraktionen werden sie die engste Fühlung zwi-
schen Regierung und zweiter Kammer herstellen. Als Ver-
trauenoleute ihrer Wählerschaft werden sie über die An-
sichten der Allgemeinheit, die Wünsche des sächsischen Volkes
jederzeit auf das genaueste unterrichtet sein.
Auch in Zukunft werden als Vorsteher der Ministerial-
departements — sei es aus Beamtenkreisen, sei es aus dem
Landtage — nu# solche Minister berufen werden, gegen deren
Ernennung seitens der Mehrheit des Parlaments kein aus-
drücklicher Widerspruch erhoben wird. Die Möglichkeit,
daß ein Minister gegen den Willen des Parla-
ments dauernd im Amte verbleibt, scheitert an
der Macht der Tatsachen.
Inwieweit die Ministerialdepartements zu vermehren oder
anderweit gegeneinander abzugrenzen seien, wird Gegenstand
baldiger Erwägung sein. In Frage kommt die Bildung
eines neuen Verkehr öministeriums und die Tren-
nung des Kultus= vom Unterrichtsministerium.
Es ist zu hoffen, daß durch die Neuorganisation der Re-
gierung diese und das Parlament mehr und mehr zu einer
ideellen Arbeitsgemeinschaft verschmelzen, in der die po-
litischen Kräfte des sächsischen Volkes soweit möglich zur
Wirksamkeit gelangen. An Meinungsverschiedenheiten wird
es auch da nicht fehlen. Es ist aber nötig, daß jetzt im
Zeichen der höchsten Not diese Meinungsverschiedenheiten
stets unter dem Gesichtspunkte der gemeinsamen Gefahr
und im Hinblick auf das gemeinsame Vaterland ihren Aus-
gleich finden. Ich zweifle nicht, daß diese Notwendigkeit
sich jederzeit durchringt.
Zu dieser Uberzeugung bin ich berechtigt, haben doch alle
Klassen und Stände in gleicher Vaterlandsliebe nach außen
das Vaterland gemeinsam verteidigt, nach innen Mühen
und Entbehrungen gemeinsam getragen. Nach diesem Kriege
hat kein Stand mehr das Recht, für sich den Anspruch auf
besondere Vaterlandsliebe zu erheben, anderen Ständen die
Vaterlandsliebe abzusprechen.
Die unmittelbare Folge dieser Auffassung ist die For-
derung, daß das Wahlrecht für die zweite Kammer
auf breitester Grundlage aufgebaut werde, daß in-
sonderheit die Vorrechte des Besitzes hierbei wegfallen. Dem-
entsprechend wird die Regierung dem Landtage in kurzer
Frist den Entwurf eines Wahlgesetzes vorlegen, das
dacd allgemeine, gleiche, geheime und direkte
Wahlrecht ohne jede kleinliche Einschränkung vorschlägt.
Um die Minderheiten zu ihrem Rechte gelangen zu lassen,
soll das Wahlrecht auf dem System der Verhältnis-
wahl beruhen. Damit werden nach langen Kämpfen die
Wünsche breitester Schichten in einwandfreier Weise erfüllt.
Über die Einzelheiten des Entwurfs zu reden, kann mir wohl
heute erlassen werden. Sind Regierung und Kammern über
die wesentlichen Grundsätze einig, so wird sich auch über
diese Einzelheiten unschwer eine Einigung erzielen lassen.
Neuwahlen können selbstverständlich vor Friedensschluß und
vor Heimkehr unserer Krieger nicht stattfinden. (Sehr
richtig!)
Wie die Dinge sich jetzt anlassen, hoffe ich aber, daß im
Spätsommer oder Herbst des nächsten Jahres, also 1919,
nach dem neuen Gesetz gewählt werden bann und heute übers
Jahr der neue Landtag bereits in der Arbeit begriffen ist.
Bei der Bedeutung der zweiten Kammer für unser ge-
samtes Staatsleben wird dieses im höchsten Maße von der
Wirksamkeit des neuen Wahlgesetzes beeinflußt sein.
Wenn ich die Hoffnung ausgesprochen habe, daß Re-
gierung und Parlament eng verbunden die Staatsgeschäfte
führen sollen, so habe ich unter Parlament nicht nur die
zweite, sondern auch die erste Kammer verstanden. Unser
Parlament setzt sich aus erster und zweiter Kammer zu-
sammen. (Abgeordneter Fleißner: Leider!)
Auch der ersten Kammer können Minister entnommen
werden, um die Verbindung zwischen Regierung und erster
Kammer zu sichern. Wenn sich im Augenblicke hierzu noch
kein Bedürfnis herausgestellt hat, so kann sich doch in Zu-
kunft ein solches ergeben. Der lebhafte Wunsch der ersten
Kammer, fruchtbringend an der Entwicklung Sachsens mit-
zuwirken, steht fest. Mit Genugtuung habe ich die Ansichten
namhafter Mitglieder der ersten Kammer gehört, daß beide
Kammern das Gesamtparlament Sachsens bilden, und daß
dieses Gesamtparlament sich im gleichen Geiste und gleichen
Ziele zusammenfinden müsse. Soll diese Auffassung prak-
tisch zur Geltung kommen, so muß sich die erste Kammer
organisch in den Verfassungsneubau einfügen. Hat sich Re-