Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

sämtlicher Machtmittel des Staates gesetzt. Die Garnison 
ist von Anfang an auf seine Seite getreten. 
Die Abgesandten des Vereinigten Arbeiter= und Soldaten- 
rates haben dem unterzeichneten Minister erklärt, daß sie 
trotz aller von ihnen geplanten politischen Umwälzungen 
zweierlei aufrecht erhalten wollen: die öffentliche Sicher- 
heir und die Versorgung des Landes mit Ernährungsmitteln 
und NRohstoffen. 
Die Erhaltung der Ordnung und Ernährung im Lande ist 
in der Tat das wichtigste Gebot der Stunde. Bricht dies 
eine oder andere zusammen, so wird das Elend des ohnehin 
hart geprüften sächsischen Volkes und Landes unabsehbar 
werden. Dies zu verhüten, muß der gemeinsame Wunsch 
aller redlich Gesinnten sein, gleichgültig, welchem Stand 
und welcher Partei sie angehören. 
Das Land vor Unordnung und Hungersnot zu bewahren, 
ist nur möglich, wenn die Staatemaschine, insbesondere 
aber alle Behörden und die Dienststellen im Ministerium 
des Innern, in Tätigkeit bleiben, wenn alle Beamten, un- 
beirrt durch die politischen Ereignisse, unentwegt ihre Pflicht 
tun und wenigstens die laufenden Geschäfte erledigen. 
Im Einverständnis mit dem Gesamtministerium richte 
ich an alle Beamten und Angestellten im Bereich des Mini- 
steriums des Innern die dringende Aufforderung, auf ihrem 
Posien auszuharren und ihre Pflicht wie bisher zu erfüllen. 
Ganz besonders wende ich mich mit diesem Ersuchen an die- 
jenigen Beamten, denen die schwierige Aufgabe der Lebens- 
mittelversorgung des Landes obliegt. 
Mehr als je muß in diesen schweren Tagen das Wort 
gelten: Über alles das Vaterland! 
Der Minister des Innern: 
Dr. Koch. 
Inzwischen nahm der Vereinigte revolutionäre Arbeiter- 
und Soldatenrat in Dresden besondere Stellung zu den 
Arbeiterfragen die dann im ganzen Lande in gleicher 
Weise aufgerollt wurden. Alle Kriegsindustriebetriebe wur- 
den angehalten, keine Arbeiterentlassungen vorzunehmen. Ehe 
überhaupt Entlassungen in Aussicht genommen wurden, 
mußte die Arbeitszeit wesentlich verkürzt werden. Die nor- 
malen Arbeitslöhne sind weiterzuzahlen. Die Arbeiter müs- 
sen weiter das herstellen, worauf das Unternehmen ein- 
gerichtet ist, also auch bis auf weiteres Kriegsartikel er- 
zeugen. Die Industrie soll langsam in Friedensarbeit um- 
gewandelt werden. — Auch auf anderem Gebiete setzte die 
rege Tätigkeit der neuen Gewalt ein. ÜUberall be- 
hauptete sich der Arbeiter= und Soldatenrat als die oberste 
Behörde und kontrollierte alle Erlasse. Er bestimmte, daß 
zunächst alle militärischen Formationen bestehen blieben, 
daß die Gemeindevertretungen in derselben Weise ihren 
Dienst taten, daß uneingeschränkte Versammlungo= und 
Pressefreiheit bestünde, daß die Theater= und Pressezensur 
aufgehoben sei. Im übrigen bemühte sich der Arbeiter= und 
Soldatenrat, Nuhe und Ordnung zu halten. 
Die Verhältnisse waren nun schon soweit gedieben, daß 
allmählich Parteien, Körperschaften und Stan- 
desschichten Stellung zur Veränderung nahmen. Die so- 
zialdemobratische Partei Sachsens trat am 11.No- 
vember in Dresden zu einer Sitzung zusammen, die folgende 
bedeutsame Entschließung annahm: Die Landeskonferenz be- 
grüßt voll Begeisterung die Freiheitsbewegung, die das ganze 
Land und das ganze Neich ergriffen hat. Das alte Herr- 
schaftsspstem ist durch das Volk, die Arbeiter und Soldaten 
beseitigt worden, und die Demokratie siegt auf der ganzen 
Linie. Die Landeskonferenz fordert die Parteigenossen auf, 
alle früheren Streitfragen zurückzustellen und sich mit ganzer 
Kraft an den Arbeiter= und Soldatenräten zu beteiligen. 
Die Landeskonferenz richtet das dringende Ersuchen an die 
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gesamte Bevölkerung, die öffentliche Ordnung unbedingt 
aufrechtzuerhalten. Die Schwierigkeiten der nächsten Zeit, 
besonders in der Sicherung der Ernährung, sind außer- 
ordentlich groß. Die Ernährung des Volkes und die Sicher- 
stellung der Errungenschaften der Revolution ist nur mög- 
lich, wenn keinerlei Störungen im Transportwesen und in 
der Verwaltungsorganisation eintreten. Darum ist es auch 
erforderlich, daß der gesamte Verwaltungsapparat des Lan- 
des aufrechterhalten wird (Staatszeitung 265). 
Von besonderer Wichtigkeit war die geschlossene Stel- 
lung der Presse gegenüber den neuen Ereignissen. In 
Dresden wurde in einer Versammlung Dresdener Schrift- 
leiter und Vertreter großer auswärtiger Blätter verlangt, 
daß sich die neue Staatsgewalt der Presse gegenüber genau 
so taktvoll benähme wie die alte Regierung. Man forderte 
ungehinderten Zutritt zu dem Arbeitsräumen und Preß- 
tribünen im Ständehaus, zu den Verhandlungen des Ar- 
beiter= und Soldatenrats und den noch zu schaffenden 
Körperschaften, Einrichtung einer Pressestelle, die über alle 
Fragen gleichmäßig schnell orientiert, Wegfall der Presse- 
zenfur und der Uberwachung von telephonischen und tele- 
graphischen Mitteilungen, Sicherheit der Verlags= und 
Druckräume. Alle Forderungen wurden vom Arbeiter= und 
Soldatenrat zugesagt mit dem Vorbehalt, daß gewisse orga- 
nisatorische Sitzungen doch geheim bleiben müßten, und 
daß man sich nicht gefallen lassen könnte, wenn gegen die 
heutige Gewalt geschrieben würde. 
Von seiten der jüngeren akademischen Genera= 
tion erfolgte sehr bald Stellungnahme zu den neuen Er- 
eignissen. Sowohl die Leipziger als auch die Dresdener 
Studentenschaft stellte sich auf den neuen Boden, wiesen 
aber einen Eingriff in das freie akademische Leben von 
vornherein ab. Die Hochschule stehe außerhalb der Politik, 
und Neutralität der akademischen Bürger als solche sei die 
unumwundene Forderung des Tages (Staatszeitung 265). 
In den nächsten Tagen waren es die Studentenschaften, 
die rasche Taten unternahmen. Die Dresdener Studen- 
tenschaft der Tierärztlichen Hochschule, Kunstakademie, 
Technischen Hochschule, der Forstakademie Tharandt, der 
Bergakademie Freiberg verlangte in einer Versammlung 
eine akademische Vertretung beim Arbeiter= und Soldaten- 
rat und führte eine sehr straffe Organisation ein, die sich 
nicht parteipolitisch betätigen, sondern Hochschulfragen vom 
unpartei##schen Standpunkt lösen wollte. Ebenso handelte 
die Leipziger Studentenschaft, die in mannigfacher Weise 
von dem dortigen Arbeiter= und Soldatenrat herausgefor- 
dert wurde. 
Als Folge der Neuordnung entsagte am 13. Novem- 
ber König Friedrich August dem Thron unrd ließ 
diese seine Entschließung durch Dr. Koch dem Arbeiter= und 
Soldatenrat mitteilen (Staatszeitung 266); 
Dresden, 13. November 1918. 
An den Arbeiter= und Soldatenrat, Dresden, Ständehaus. 
Auf die heute früh mündlich an Se. Erxzellenz den Herrn 
Finanzminister gerichtete Anfrage teile ich mit, daß Se. Ma- 
jestät der König auf den Thron verzichtet hat. Gleichzeitig 
hat Se. Majestät alle Offiziere, Beamten, Geistlichen und 
Lehrer von dem ihm geleisteten Treueid entbunden und sie 
gebeten, im Interesse des Vaterlandes auch unter den ver- 
änderten Verhältnissen ihren Dienst weiterzutun. 
Der Minister des Innern: 
Dr. Koch. 
Das Gesamtministerium nahm daraufbin mit einem letz- 
ten Aufruf seinen Abschied (Staatszeltung 265);: 
Se. Majestät der König hat dem Thron entsagt. Vor 
vollzogener Abdanbung hat der König den Staateministern 
die erbetene Entlassung aus seinem Dienste bewilligt, ihnen 
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