Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

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19. November 1918 wurde eine große Amnestie er- 
lassen (Gesetz= und Verordnungsblatt 1918, Seite 367 ff., 
vergleiche dazu Seite 374). 
Wie bei der Amnestie, die ja nur eine Ausführungsverord- 
nung der von Reichs wegen verfügten Amnestie darstellte, 
so wurden auch auf dem Gebiet der Arbeiterfürsorge 
die nötigen Schritte unternommen. Der Achtstundentag 
wurde durch Verordnung eingeführt (Gesetz= und Verord- 
nungoblatt, Seite 372): 
Auf Grund reichsgesetzlicher Verordnung vom 12. No- 
vember 1918 (Reichögesetzblatt, Seite 1303) muß bis 
spätestens den 1. Januar lold die allgemeine achtstündige 
Arbeitszeit durchgeführt werden. Für die Republik Sachsen 
wird felgende besondere Verordnung erlassen. 
1. Die wöchentliche Arbeitszeit für alle Arbeiter, Arbeiter= 
innen und Angestellte darf in fabrik= oder handwerkosmäßig 
betriebenen Unternehmungen, Betriebswerkstätten von Staats- 
und Gemeindeunternehmen und im Handelsgewerbe 48 Stun- 
den nicht übersteigen. 
Soweit es sich um Arbeiter und Angestellte handelt, die 
nicht unter die genannten Kategorien fallen, sind die zu- 
ständigen Berufsorganisationen (Gewerkschaften und An- 
gestelltenverbände) berechtigt, Anträge auf Einführung der 
48 stündigen Marimalarbeitszeit beim Arbeits= und Wirt- 
schaftsministerium einzureichen. 
2. Trotz Verkürzung der Arbeitozeit darf eine Verminde- 
rung des Verdienstes oder Gehaltes gegenüber dem Ver- 
dienste oder Gehalte bei bisheriger in den einzelnen In- 
dustriezweigen oder sonstigen Betrieben geltender Normal- 
arbeitszeit nicht erfolgen. 
3. Neu in Beschäftigung Tretende erhalten mindestens 
den Verdienst oder Gehalt eines gleichwertigen Arbeiters 
(Arbeiterin) oder Angestellten (Angestellte). 
4. Für Aussetztage muß der volle Lohn oder Gehalt ge- 
zahlt werden. 
5. Cntlassungen von Arbeitern, Arbeiterinnen und An- 
gestellten dürfen bis zur endgültigen Regelung der gesetz- 
lichen Arbeitslosenfürsorge nicht erfolgen. Mit dem Eintritt 
der gesehlichen Arbeitslosenfürsorge sind Entlassungen nur 
möglich, wenn eine vorhergehende 14 tägige Kündigung er- 
folgt ist. Der früheste Termin der Kündigung ist der Tag, 
an dem die gesetzliche Arbeitslosenfürsorge in Wirksamkeit 
tritt. 
Soweit seit 9. November 1918 Entlassungen bereits er- 
folgt sind, muß den Entlassungen eine Entschädigung in Höhe 
eines Zweiwochenverdienstes nachgezahlt werden. Haben Ent- 
lassene anderwärts Arbeit gefunden, so ist ihnen nur für die 
arbeitslosen Tage Entschädigung zu zahlen. 
6. Ausnahmen über Arbeitszeit, Lohnhöhe, Gehälter, Ent- 
lassungen und das Inkrafttreten dieser Verordnung sind nur 
zulässig, wenn solche mit den zuständigen Berufsorganisa- 
tionen (Gewerkschaften, Angestelltenrerbänden) in Verbin- 
dung mit den Arbeiter= und Soldatenräten vereinbart werden. 
Solche Vereinbarungen sind sofort den Gewerbeinspektoren 
anzuzeigen. 
7. Werkvereine (sogenannte gelbe Organisationen) gelten 
nicht als Berufsorganisationen. 
Unternehmer, die grob, fahrlässig, absichtlich oder bös- 
willig gegen vorstehende Verordnung verstoßen, gewärtigen 
Bestrafung und Entziehung des Verfügungerechtes über ihre 
Betriebe. 
0. Masnahmen der Arbeiter= und Soldatenräte, die mit 
dieser Verordnung in Widerspruch stehen, treten außer Kraft. 
10. Diese Verordnung tritt am 25. November 1918 in 
Kraft. 
Dreoden, den 22. November 1918. 
Arbeits= und Wirtschaftoministerium. 
Volksbeauftragter Schwarz. 
Da man aber mit den Bestimmungen sich nicht mehr 
im Nahmen der Reichsverordnung gehalten hatte, die übri- 
gens auch eine Anderung erfahren hatte, wurde Anfang 
Dezember eine erneute Bekanntmachung erlassen (Gesetz- 
und Verordnungeblatt 1918, Seite 385) und einfach die 
Neichsverordnung vom 23. November über die Regelung 
der Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter (Neichsgesetzblatt, 
Seite 1334) für Sachsen als entsprechende Verordnung 
unter Erklärung der Wirksamkeit einiger Punkte der ersten 
sächsischen Verordnung für gültig gesprochen. Zur Über- 
wachung der gewerblichen Betriebe wurden be- 
sondere Einrichtungen geschaffen, für die eine neue, den 
Arbeitern besonders günstig gesinnte Verordnung die Rich- 
tungolinien gab (Gesetz= und Verordnungsblatt 1918, Seite 
393ff.). Besonders sei auf §#.7 dieser Verordnung hin- 
gewiesen: 
§ 7. Zur Förderung gewisser Zweige des Aufsichtsdienstes 
und zur Unterstützung der Gewerbe-Aufsichtsämter werden 
weibliche Aufsichtsbeamte und aus dem Arbeiterstande her- 
vorgegangene technische Hilfsbeamte ohne höhere fachwissen- 
schaftliche Vorbildung bestellt. Sie leisten den Gewerbe- 
Aufsichtsämtern eines Regierungsbezirkes gemeinsame Hilfe 
und haben in dienstlicher Beziehung die gleichen Rechte und 
Pflichten, wie die im 9 2 (der Verordnung) bezeichneten 
Beamten. Ihre Aufgaben werden durch besondere Dienst- 
anweisungen geregelt. 
Ein besonderer Teil der allgemeinen Fürsorge erstreckte 
sich auf dle Erwerbslosen. Deren Zahl war immer im 
Steigen begriffen, da die beginnende Demobilisation fast 
ohne Plan vor sich ging. Die gut ausgearbeiteten Demo- 
bilisationspläne waren mit einem Male über den Haufen 
geworfen. Von Reichs wegen war schon in den ersten 
Tagen nach der Nevolution eine Verordnung über Erwerbs- 
losenfürsorge geschaffen worden (Reichsgesetzblatt, Seite 
1305), die von Sachsen mittelst einer Ausführungsverord- 
nung (Gesetz= und Verordnungsblatt 1918, Seite 367) 
übernommen wurde. Der späteste Termin, nach dem die 
Fürsorge in Wirksamkeit treten sollte, war der 25. No- 
vember 1918 (Staatszeitung 276). Die Staats= und Ge- 
meindefinanzen wurden durch die Arbeitolosenunterstützun- 
gen in einer Weise in Anspruch genommen, daß sie die 
empfindlichste Störung erfuhren. Schließlich sah man sich 
genötigt, schärfere Maßregeln zu ergreifen, um gewissen- 
loses Gesindel aus dem Kreis der Arbeitslosen zu vertreiben, 
das die hohen Arbeitslosenentschädigungen benutzte, um 
einem sinnlosen Nichtstun sich hinzugeben. Die Arbeits- 
losen wurden oft von den Radikalen als Mittel zum Zweck 
benutzt. Die Demonstrationen der Unabhängigen und Kom- 
munisten wiesen in ihren Reihen immer eine große Anzahl 
Arbeitsloser auf. 
Die veränderten Verwaltungskörper hatten auf zwei Ge- 
bieten kolossale Arbeit zu leisten, einmal die Ernährung 
sicher zustellen, dann die Demobilisation in Gang 
zu bringen. Zweifellos eine geschickte, aber eine überaus 
gefährliche Maßnahme war, daß in der bewegten Zeit, wo 
doch auf Zuschüsse noch nicht gerechnet werden konnte, die 
Brotration auf fünf Pfund erhöht wurde. Große 
Bestände waren in den Magazinen des zurückflutenden 
Heeres liegen geblieben, so daß der Bedarf an Brotgetreide 
ohnehin schon nicht gedeckt war. Durch schärfere Maß- 
nahmen wollte man die Ernährung sicherstellen. So wur- 
den schon in den ersten Tagen der Revolution Ortsaus- 
schüsse zur besseren Erfassung der Produkte gegründet. 
Die diesbezügliche Verordnung lautet (Gesetz= und Verord- 
nungsblatt 1918, Seite 361 f.): 
6 1. In ÜUbereinstimmung mit der neuen Reichsregierung, 
dem Kriegsernährungsamt und den berufenen Organisa- 
tionen der sächsischen Landwirtschaft wird die Bildung von 
Ortsausschüssen zur Sicherung der Volksernährung für alle
	        
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