Full text: Der belehrende bayerische Sekretär.

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langen Sie, theuerster Vater, von Ihrem Kinde. Ach, ich habe 
gekämpft, gerungen mit mir; ich glaubte meinen Widerwillen 
besiegen zu können, aber es geht nicht. Ich habe den Herrn N. 
oft gesehen und gesprochen; je mehr ich ihn aber sprach, desto 
heftiger wurde meine Abneigung gegen ihn. Sie haben Ihrer 
Tochter schon von der zartesten Jugend an die Gefühle für 
Tugend und Hochsinn eingeprägt, und wie wenig ist von Tugend 
und Hochsinn an N. zu finden! Geiz, Hochmuth, Eitelkeit sind 
die vorherrschenden Züge seines Charakters; Geld, Titel sind 
die Worte, die er fast immer auf seinen Lippen führt, seine 
Gemeinheit, die Niedrigkeit seiner Gesinnung nur mühsam ver- 
bergend. Und an ein solches Wesen, das nicht einmal äußere 
Vorzüge hat, soll ich mein Schicksal knüpfen? Nein, es ist un- 
möglich! Entsetzen ergreift mich bei dem Gedanken an eine Ver- 
bindung mit ihm. Wie oft lag ich auf meinen Knieen im 
Gebete vor Gott und bat ihn um Kraft und Stärke, damit ich 
Ihren Willen erfüllen könne; aber unüberwindlich blieb die 
Abneigung! Diese Verbindung würde mich zur Unglücklichsten 
auf der Erde machen. Theuerster Vater! Sie haben stets nur 
das Beste Ihres Kindes gewollt, Sie haben es mit inniger, 
treuer Vaterliebe geliebt. O muthen Sie jetzt Ihrem einzigen 
Kind nicht zu, was es Zeitlebens unglücklich machen würde! 
Frei ist mein Herz, nicht eine geheime Liebe leitet meinen Ent- 
schluß, nur die Ueberzeugung von der Unmöglichkeit, einem 
Menschen meine Hand reichen zu können, den ich verabscheue. 
Ich darf zu dem liebenden Vaterherzen offen die Wahrheit 
sprechen. Bestehen Sie auf Ihrem Willen, so werde ich als 
folgsames Kind mit gebrochenem Herzen gehorchen; aber ich 
werde als Opfer fallen, bald fallen; der Friede, die Ruhe Ihres 
Lebens wird mit dem Glück Ihres Kindes vernichtet sein, auf 
dessen Grabhügel Sie vergeblich Ihren harten Entschluß be- 
reuen werden. 
Verzeihen Sie Ihrem Kinde, welches zum ersten Mal in 
seinem Leben Ihnen ungehorsam ist, ungehorsam, weil es, 
eingedenk Ihrer eigenen Lehren, seinen Seelenfrieden, seine Ruhe 
nicht unbedachtsam opfern, nicht sich selbst grenzenlos unglück- 
lich, zu einer sichern Beute des Todes so früh machen will. 
Möchte der Geist meiner theueren, mir so früh entrissenen 
Mutter Sie umschweben, zu einer mildern Gesinnung Sie be- 
stimmen! Mit der zärtlichsten Liebe 
Ihre 
unglückliche Tochter NN.
	        
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