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117.
Die Verzeihung von einem Freunde betr. (Zu Nr. 106.)
Lieber Freund!
Den Vorfall, dessen Dein Schreiben erwähnt, hatte ich
längst schon vergessen. Dem Freunde zu verzeihen, ist süße
Pflicht; Pflicht des Freundes ist es aber auch, offen die Wahr-
heit zu sagen. Ich habe Dich schon oft gebeten, mehr Acht auf
Dich #elbst zu haben, den ersten Regungen Deines Zornes zu
widerstehen und so eine Schwäche zu beherrschen, die seiner Zeit
die schlimmsten Folgen haben kann. Du hast mir nicht gefolgt,
fruchtlos waren meine Ermahnungen! Hoöre doch einmal auf
des Freundes Stimme, fange einmal an, diese Dich so sehr ent-
stellende Leidenschaft, die selbst des Freundes nicht schont, in ihrer
ganzen Häßlichkeit einzusehen und, koste es auch noch so viele
Anstrengung, abzulegen. Geschieht dieses, so werden keinerlei
Zwistigkeiten mehr zwischen uns obwalten, und ich werde mich
glücklich schätzen, einen so hochbegabten Freund von einer gar-
stigen Schwäche befreit zu sehen.
Dein
aufrichtiger Freund.
III. Anzeige-Briefe oder briefliche Anzeigen.
118.
Verlobungsanzeige eines Sohnes an seine Eltern r2c. mit Einladung.
Liebe Eltern!
Es wird Sie gewiß nicht unangenehm überraschen, wenn
ich Ihnen melde, daß ich mich demnächst mit Fräulein Anna N.
von St. verloben werde und hiemit Ihrem Wunsche, liebe
Eltern, nachzukommen glaube. Da Sie meine Verlobte von
Kindheit auf gekannt, so habe ich über ihren Charakter nichts
zu sagen, sondern bitte nur, mir Ihre elterliche Einwilligung,
deren ich mich schon im Voraus versichert halte, bis Sonntag
den 29. d. Mts. schriftlich hieher zu senden, falls Sie hieher
zu kommen verhindert sein sollten. Meine lieben Geschwister
bitte ich, ihre geschwisterliche Liebe auch auf meine Anna über-
zutragen. Ich hoffe, Sie Alle an meinem Hochzeitsfeste, das
acht Tage nach der Verlobung stattfinden soll, bei mir zu sehen,
und sehne mich innig nach diesem Wiedersehen. In unbegrenzter
Liebe und Verehrung
Ihr
gehorsamster Sohn.