Full text: Der belehrende bayerische Sekretär.

501 
Familienkreise, es waren die glücklichen Stunden in Ihrer 
Nähe, es waren die Vorzüge Ihrer Fräulein Tochter, deren 
Liebe zu erhalten stets mein aufrichtigstes Bestreben war. 
Allein seit einiger Zeit scheint Ihre Fräulein Tochter jenen 
Verbindlichkeiten, welche eine eheliche Verbindung ihr aufer— 
legen werden, abhold, der mir früher geschenkten Liebe ganz 
entfremdet zu sein. Zwang kann am wenigsten das Glück und 
die Zufriedenheit begründen, und so glaube auch ich mich von 
der Verbindlichkeit befreit, welche ich durch das Ihnen geleistete 
Versprechen, Ihre Fräulein Tochter zu meiner Lebensgefährtin 
machen zu wollen, übernommen habe. Indem ich Ihnen für 
Ihre Bemühungen, mir die Stunden in Ihrem Kreise so an— 
genehm als möglich zu machen, meinen innigsten Dank sage, 
empfehle ich mich Ihrer ferneren Gewogenheit und Güte und 
verharre hochachtungsvoll 
Ihr 
ergebenster N. N. 
229. 
An einen Freund wegen Mißbrauchs des Vertrauens. 
Werther Herr! 
Die Rückhaltslosigkeit und Offenheit, womit ich Sie mein 
ganzes Wesen durchschauen ließ, finde ich jetzt schlecht belohnt; 
mein Vertrauen haben Sie mißbraucht. In verschiedenen Gesell- 
schaften haben Sie mich schonungslos dem Gelächter und Ge- 
spötte der Witzlinge preisgegeben! Wenn Sie etwas an mir 
bemerkt haben, was Ihren Tadel verdiente, warum sagten Sie 
es nicht mire Sie würden mir eine große Gefälligkeit erwiesen 
haben, wenn Sie meine Fehler und Leidenschaften mir vor Augen 
geführt hätten; ich würde mich bestrebt haben, sie abzulegen. 
Tief bin ich gekränkt durch die Art und Weise, mit der Sie 
schonungslos mich, den Abwesenden, dem Hohn und dem Spott 
aussetzten. Kein Mensch ist ohne Fehler, aber wir sehen immer 
nur des Nächsten Fehler, die unsrigen nicht. Wie, wenn ich 
Ihre Schwachheiten, Ihre Mängel, Ihre Fehler, auf die ich 
Sie ohne Zeugen aufmerksam machte, offenbaren, wenn ich Sie 
mit derselben Schonungslosigkeit öffentlich hinstellen würde, wie 
Sie es mir gethan, was würden Sie thun? Würden Sie nicht 
auf's äußerste entrüstet sein, gebrandmarkt dastehen? Könnte ich 
nicht wenigstens Gleiches mit Gleichem vergelten? Würden Sie 
nicht viel mehr verlieren? Doch das sei ferne von mir; zu einer
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.