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gleicher Liebe an Dein Herz; laß letztere nicht fühlen, daß sie
mutterlose Waisen sind, damit sich nicht einst an Deinen Kin-
dern das räche, was Du an den andern gefreoelt hast.
Immer warst Du mein liebevolles, folgsames Kind, sei es
auch diesmal! Gottes Segen wird Dir im reichsten Maße wer-
den, wenn Du liebevoll wie Deine eigenen Kinder die an das
Herz schließest, die von Dir die treueste Mutterliebe zu erwarten
berechtigt sind. Die Erfüllung ihrer Wünsche hoffend, umarmt
Dich in Gedanken
Deine
Dich zärtlich liebende Mutter
N.
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Ermahnung an eine Freundin wegen Undankbarkeit.
Meine liebe Mechtilde!
Ich kann Dir ein Gerücht, welches mich mit dem herbften
Schmerz erfüllt hat, nicht bergen; meine Treue gegen Dich
fordert mich auf, Dir es mitzutheilen, Dich abzumahnen.
Man erzählt sich, und zwar mit solchen Einzelnheiten, daß
an der Wahrheit kaum zu zweifeln ist, daß Du Dich des ab-
scheulichsten Undanks gegen Deinen Wohlthäter schuldig gemacht
habest. Ich hielt es zuerst kaum für möglich! Nein, rief ich,
meine Mechtilde, dieses Mädchen von so vortrefflichem Herzen,
von so ausgezeichneten Anlagen kann sich mit dem schwärzesten
aller Laster, mit dem Undanke, nicht beflecken! Aber die Erzähl-
ungen sind von der Art, daß ich an ihrer Wahrheit nicht zwei-
feln kann, und dies betrübt mich schwer. Bedenke doch, daß
er, Dein Wohlthäter es war, der Dich aus dem Staub, aus
der Armuth herausgerissen hat, daß er es war, der für Deine
Ausbildung sorgte, Dich zu dem machte, was Du jetzt bist, Dich
mit Wohlthaten überhäufte. Mag er auch, wie jeder Mensch,
seine Schwachheiten, seine Fehler haben, sie berechtigen Dich
nicht zum Undank, Du findest vielmehr in den Verhältnissen
eine doppelte Aufforderung, nach den Geboten unserer Religion
zu hanpeln, die Fehler und Schwachheiten Deines Nebenmenschen
mit dem Deckmantel christlicher Liebe zu bebecken.
Glaube ja nicht, daß Du, wenn auch jetzt Dein in reichem
Maße sprudelnder Witz über Deinen Wohlthäter belacht, mit
Zeichen des Beifalls aufgenommen wird, dadurch an Achtung