538
Diese sind für mich um so tröstender, als der Gedanke an den
erlittenen Verlust und der fast gänzliche Mangel an Theilnahme
an meinem Unglück mir wohl klar machte, wie schwach und
bülflos das Weib für sich alleinstehend ist, daß es einer Stütze
bedarf. Da ich Sie als einen Mann von festem Charakter und
ernstem Wesen kennen gelernt habe, welcher es sich zur Aufgabe
seines Lebens gemacht hat, in der Begründung des Glückes
Anderer sein eigenes zu finden, so nehme ich Ihr Anerbieten an.
Sollten Sie diesen so edlen Zweck an mir durch das Band der
Ehe um so vollkommener zu erreichen streben, so werden Sie
beglücken die
Sie
innigst verehrende
N. N.
301.
Heirathsantrag an eine junge Wittwe.
Verehrteste Freundin!
Nehmen Sie es nicht ungütig auf, wenn aus der Zahl
der vielen Bewerber, welche Sie haben, ich es wage, mich Ihnen
mit dem Geständniß meiner Liebe zu nahen. Ich weiß nicht,
ob ich mich irre; aber ich glaube mich durch so manche Ihrer
Aeußerungen zu der Hoffnung berechtigt, daß Sie mir gewogen
sind. Menschenkenntniß und Erfahrung haben Sie genug, um
lautere Gesinnung von unlauterer oder erheuchelter unterscheiden
zu können. Und so brauche ich nicht viel Worte zu machen,
um Ihr Herz zum Fürsprecher meiner Wünsche zu gewinnen. —
Meine Vermögens- und sonstigen Verhältnisse sind Ihnen be-
kannt, darüber brauche ich also nichts zu sagen, und indem
ich nun meine Herzensangelegenheit Ihrer Entscheidung an—
heimgebe, verbleibe ich erwartungsvoll in innigster Verehrung
Ihr
ergebenster N.
302.
Antwort hierauf.
Werther Freund!
Sie werden sich nicht beklagen können, daß ich Sie zu
lange auf Antwort habe warten lassen, und werden es mir
auch nicht mißdeuten, daß mein Entschluß ohne Zögern gefaßt