Full text: Der belehrende bayerische Sekretär.

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375. 
Rath an einen Freund, sich in N. nicht zu verheirathen. 
Theuerster Freund! 
Sie haben mir Ihr Verehelichungsvorhaben, sowie Ihre 
Zweifel mitgetheilt und mich gebeten, Ihnen meine Ansicht zu 
eröffnen. 
Ihre Verlobte und deren Mutter verlangen, daß alle Kinder 
der Religion der Mutter folgen sollen. Dieses Verlangen ist 
nach meinem Dafürhalten so unbegründet nicht, denn der Mutter 
liegt ja doch in der Regel die religiöse Erziehung der Kinder 
ob; dies wird vorzüglich bei Ihnen der Fall sein, weil Ihre 
Geschäfte Ihnen unmöglich Zeit übrig lassen, sich mit der Er- 
ziehung der Kinder viel zu beschäftigen. Eine höchst schwierige 
Aufgabe für eine Mutter würde es sein, ihren Kindern eine 
andere Religion beizubringen, als die ihrige. Gedenken Sie 
nur des einzigen Umstandes: die Mutter geht zur Kirche, ihre 
Kinder, sogar ihre Mädchen begleiten sie nicht, sie gehen in eine 
andere. Verschiedene Religionen aber taugen bei den Kindern 
einer Familie vollends nicht; es ist besser, alle folgen der Re- 
ligion des Vaters oder der Mutter. Darum würde ich aus dem 
zuerst angeführten Grunde vorzüglich gegen die Bedingung Ihrer 
Verlobten und überhaupt gegen Ihre Verbindung mit ihr nichts 
zu erinnern haben. Aber die Art und Weise, mit welcher diese 
Bedingung gemacht wurde, zeigt von sehr wenig Zartgefühl, und 
Ihre übrigen Andeutungen sagen mir, daß Ihre Verlobte 
weniger geistige, als körperliche Vorzüge hat, daß Sie vorzüglich 
durch letztere und durch pecuniäre Verhältnisse angezogen wurden, 
daß in N. der finstere Geist der crassesten Intoleranz herrscht. 
Des Körpers Reize sind schnell verblüht, der Mangel an 
Zartgefühl wird sich in kurzer Zeit wahrscheinlich als offenbare 
Gemeinheit zeigen, Sie werden sich unglücklich fühlen, besonders 
in einem Städtchen, wo Sie der einzige einer andern Religion 
Angehörige sind, und wo Sie die rücksichtslose Intoleranz manche 
herbe Pille zu verschlucken, manchen Nachtheil und Schaden zu 
erdulden zwingen wird. 
Darum ist mein Rath, daß Sie sich lossagen von Ihrem 
Verhältnisse, in N. sich nicht verheirathen. 
Ihr 
ergebenster 
N.
	        
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