§ 6. Rechtliche Natur des Reichs. 33
mäßigem Wege, also mit Zustimmung des Reichstags
möglich.
In der staatsrechtlichen Literatur wird das Deutsche
Reich überwiegend als Bundesstaat bezeichnet im Gegen-
satz zum Staatenbund (s. hiezu § 2, XII). Man will damit
zum Ausdruck bringen, daß die Reichsgewalt eine wirk-
liche, selbständige Staatsgewalt ist, und nicht bloß die Ver-
einigung der Staatsgewalten der Einzelstaaten, und daß
nur die Reichsgewalt, nicht auch die Staatsgewalt der Einzel-
staaten souverän ist. Die Reichsgewalt ist die höchste Ge-
walt im Deutschen Reich, sie ist keiner anderen irdischen Ge-
walt unterworfen; von keiner andern Gewalt empfängt
sie rechtlich verpflichtende Vorschriften. Die Selbständig-
keit und Souveränetät der Reichsgewalt kommt in 4facher
Richtung zum Ausdruck:
1. Das Reich hat eigene Willensorgane,
welche nicht Organe oder gemeinschaftliche Or-
gane der Einzelstaaten sind. So kann z. B. ein
Beschluß des Reichstags nicht ersetzt werden durch über-
einstimmende Beschlüsse sämtlicher Landtage der Einzel-
staaten. Ebensowenig kann ein Beschluß des Bundesrats
durch übereinstimmende Erklärungen sämtlicher Einzelstaats-
regierungen ersetzt werden. Ein Reichsgesetz kann nicht
dadurch beseitigt werden, daß sämtliche Einzelstaaten seine
Aufhebung beschließen, sondern nur auf reichsverfassungs-
mäßigem Wege durch übereinstimmenden Beschluß des
Bundesrats und des Reichstags.
2. Die Zuständigkeit des Reichs wird durch
das Reich selbst festgesetzt. Die Zuständigkeit des
Reichs ist in der Reichsverfassung bestimmt, indem in dieser
aufgezählt wird, welche Gegenstände der Gesetzgebung und
Verwaltung des Reichs unterliegen (z. B. Militärwesen,
Strafwesen usw.). Wo die Reichsgewalt nicht zuständig ist,
(z. B. Gemeindegesetzgebung, Unterrichtswesen), da üben die
Bazille, Reichsverfassung 2c. 3