Full text: Unsere Reichsverfassung und deutsche Landesverfassungen.

36 II. Abschnitt. Reich und Einzelstaaten. 
Fällen werden die Gesetze von Reichsbehörden und Reichs- 
beamten ausgeführt; die Einzelstaaten kommen in diesen 
Fällen nicht als Staaten, sondern als bloße Verwaltungs- 
bezirke in Betracht. Hierher gehören vornehmlich die aus- 
wärtigen Angelegenheiten mit Einschluß des Konsulats- 
wesens, die Verwaltung der Schutzgebiete, der Marine, der 
obersten Post= und Telegraphenverwaltung, eines Teils der 
Gerichtsbarkeit letzter Instanz und eines Teils der Finanz- 
verwaltung. Bezüglich der Reservatrechte vergl. 8 8. 
2. In der großen Mehrzahl der Fälle steht 
dem Reiche nur die Beaufsichtigung und Gesetz- 
gebung, nicht auch die Verwaltung zu (Art. 4 
der Reichsverfassung). Hier ist die Durchführung und 
Handhabung der Reichsgesetze nicht auf das Reich über- 
gegangen, sondern den Einzelstaaten verblieben. Hierher 
gehören z. B. die Gerichtsbarkeit, die Arbeiterversicherung, 
das Gewerberecht, das Paßwesen, das Staatsbürgerrecht, 
das Maß-, Münz= und Gewichtswesen, das Eisenbahnwesen, 
die Presse, das Vereinswesen usw. Die Handhabung und 
Durchführung dieser Gesetze liegt den Einzelstaaten ob; aber 
die Gesetze selbst werden vom Reich erlassen. Vergl. hiezu 
§ 46, III. 
3Z. Endlich gibt es eine Reihe von Fällen, die ganz 
ausschließlich zur Zuständigkeit der Einzelstaa- 
ten gehören, in die das Reich nicht dreinzusprechen hat. 
Dahin gehört die Organisation der Einzelstaaten selbst, die 
Regelung des Thronfolgerechts, des Wahlrechts zu den Land- 
tagen, die Gemeindeverfassung, das Unterrichtswesen. In 
diesen Angelegenheiten sind die Einzelstaaten der Gesetz- 
gebung und Oberaufsicht des Reichs nicht unterworfen. 
Allein das Reich hat nach der Reichsverfassung (Art. 78) 
das Recht, seine Zuständigkeit zu erweitern; es kann also 
auch in den Fällen 2. und 3. die bisher den Einzelstaaten 
verbliebenen Befugnisse an sich ziehen.