Full text: Das Regenbogen-Buch - Die europäischen Kriegsverhandlungen.

166 26. Juli 
  
  
nicht auf eine Zeitverlängerung im Sinne Ihres Telegrammes 
nach Paris vom 25. ds. (letzter Abschnitt) zu drängen.') 
Als die Wiederholung Ihres Telegrammes nach Paris vom 
26. ds. hier anlangte,?) waren die Botschafter Frankreichs und 
Russlands gerade bei mir. Sie drückten sich über den Inhalt 
des erwähnten Telegrammes, welchen ich ihnen mitteilte, sehr 
befriedigt aus. Indessen bezweifelten sie, dass das zu- 
erunde liegende Prinzip, nach demRussland als in- 
teressierte Partei das Recht zum Mitsprechen hat 
in der Beilegung eines rein österreichisch- 
serbischen Streitfalles von der Österrei- 
chisch-ungarischen Regierung anerkannt 
werden kann.) 
Dem italienischen Botschafter wurden gleichfalls Instruk- 
tionen erteilt, die russische Forderung nach Fristverlängerung 
zu unterstützen. Sie trafen jedoch zu spät ein, um irgend eine 
nutzbringende Aktion zu ermöglichen. 
Bi. Nr. 40. ') Bib. Nr. 26. Grey hatte hier vorgeschlagen, dass, 
falls Oesterreich-Ungarn offiziell nicht die Frist der Note verlängern 
könne, es dennoch Fristverlängerung eintreten lasse, so wie Russland 
sie Ve und noch keine unwiderrufliche Massregel unternehme. 
. 36. 
?) Der letzte Satz ist von höchster Bedeutung. Er bedarf einer 
Erläuterung, da er oft missverstanden wurde. So bringt die Berner 
Uebersetzung des Bib. diesen Satz in einer Uebersetzung, die den 
Sinn vollständig umkehrt und überhaupt nichts bedeutet. Dieser Satz 
bezieht sich auf Greps Konferenzvorschlag: Deutschland, England, 
Frankreich und Italien sollen in einer Konferenz über den Streitfall 
beraten und Oesterreich-Ungarn und Russland sollen sich dem Er- 
gebnis unterwerfen. Nun erkennen der französische und der russische 
Botschafter in Wien nach dem Bericht des englischen Botschafters 
sogleich mit grosser Klarheit, dass diesem Vorschlag ein für Oester- 
reich-Ungarn und Deutschland nach ihrer bisherigen Stellungnahme 
(Lokalisierung) unannehmbares Prinzip zugrunde liegt: nämlich das 
Prinzip, dass Russland berechtigt ist, für Serbien einzutreten. Dieses 
Prinzip hatten Oesterreich-Ungarn und Deutschland von vornherein be- 
kämpft. Nehmen Oesterreich-Ungarn und Deutschland den englischen 
Konferenzvorschlag an, so erkennen sie das Prinzip an und geben ihre 
Forderung nach Lokalisierung auf. Führt der Konferenzvorschlag zu 
keinem Ergebnis, so war das Prinzip, dass der österreichisch-serbische 
Streitfall nicht lokalisiert werden soll, sondern Russland zu einer In- 
tervention berechtigt, einmal aufgestellt und die ganze Österreichisch- 
deutsche Politik fiel zusammen und die Kriegschancen wuchsen. Der 
Vermittlungsvorschlag Greys konnte also sehr wohl als ein Versuch 
gelten, vor allem das Prinzip der russischen Intervention durchzu- 
drücken. Es ist von höchster Bedeutung, dass noch ehe Deutschland 
und Oesterreich aus diesem Grunde den Grepschen Vorschlag in dieser 
Form ablehnten, die russische und französische Diplomatie die Unan- 
nehmbarkeit und den eigentlichen Sinn des Vorschlages erkannte. 
Der späteren Entrüstung und dem Erstaunen der russisch-französischen 
Diplomatie über die Ablehnung des Vorschlages ist damit jeglicher 
Boden entzogen.
	        
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