31. Juli | \ 287
Der englische Botschafter in Berlin, Sir E. Goschen, an den
englischen Staatssekretär des Aeusseren, Sir Edward Grey.
Blaubuch Nr. 108.
Berlin.
Der Kanzler teilt mir mit, dass seine Bemühungen in
Wien für den Frieden und für Mässigung zu wirkeu, sehr ernst-
haft durch die russische Mobilmachung gegen Oesterreich be-
einträchtigt worden sind. Er hat alles getan, was möglich war,
um in Wien zum Ziele zu gelangen, vielleicht mehr als dem
Ballplatz angenehm war. Erkönneiedochnichtsein
Land unverteidigt lassen, derweil die Zeit von an-
dern Mächten ausgenutzt werde; und wienn, wie er jetzt erfährt,
Russland militärische Massnahmen auch gegen Deutschland
ergreift, so sei es ihm unmöglich ruhig zu bleiben. Er wünsche
mir mitzuteilen, dass es sehr möglich sei, dass die deutsche
Regierung in sehrkurzer Zeit, vielleicht heute, sehr ernsthafte
Massnahmen ergreifen würde; er war in der Tat gerade im
Begriffe, zu einer Audienz beim Kaiser zu gehen. Seine Ex-
zellenz fügte hinzu, dass die Nachricht von aktiven Vorberei-
tungen an der russisch-deutschen Grenze ihn gerade im Au-
genblicke erreichte, als der Zar den Kaiser im Namen ihrer
alten Freundschaft bat, in Wien zu vermitteln, und als der
Kaiser tatsächlich dieser Bitte nachkam.
Der englische Botschafter in Berlin, Sir E. Goschen, an den
englischen Staatssekretär des Aeusseren, Sir Edward Grey.
Blaubuch Nr. 109.
Berlin.
Ich verlas dem Reichskanzler heute morgen Ihre mir
telegraphisch übermittelte Antwort!) auf seinen Appell an
Englands Neutralität im Falle eines Krieges. Seine Exzellenz
war mit der Nachricht über Russlands Massnahmen längs
der Grenze, die ich in meinem unmittelbar vorangehenden
Telegramm erwähnt habe, so beschäftigt, dass er Ihre Ant-
wort ohne Bemerkung hinnahm. Er ersuchte mich, ihm die
soeben vorgelesene Mitteilung als Memorandum zu hinter-
lassen, da er vor einer Antwort darüber nachdenken wolle,
denn er sei jetzt mit so ernsten Dingen überbürdet, dass er
Bib. Nr. 109. ') Bib. Nr. 101.
Deutschland
teilt in London
mit, dass es
gezwungen
sein wird, den
russischen
Massnahmen
deutsche Mass-
nahmen ent-
gegenzusetzen
Der Reichs-
kanzler em-
fängt die ab-
ehnende Ant-
wort Greys auf
seine Neutrali-
tätsvorschläge