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Belgien imstande oder gewillt sein werde, während der
Dauer des Krieges neutral zu bleiben. Indem England seine
geschichtliche Rolle als Hüter der belgischen Neutralität in
einem deutsch-französischen Kriege aufgab, indem es zu-
gunsten Frankreichs in den Krieg eingriff, führte es Deutsch-
land dazu, den Durchmarsch durch Belgien zu fordern. In-
dem England aus seiner Rolle einer Garantiemacht heraus-
trat, missbrauchte es die belgische Neutralität und riss das
Land in den Strudel des Krieges, den Deutschlands wieder-
holte Anerbieten ihm ersparen wollten.‘)
Soisteseineder schlimmsten Geschichtsfälschungen,wenn
man als Wurzel des Krieges die Verletzung der belgischen
Neutralität bezeichnet. Sie hatte nichts mit den Kriegsur-
sachen zu tun. Sie gehört nicht der Vorgeschichte des.
Krieges an. Sie stellt bereits das erste Kapitel der Kriegs-
geschichte dar, wenn auch das umstrittenste und traurigste.
Wenn wir also nun, da wir den eisernen Ring der
europäischen Kriegsverhandlungen verlassen, die nach
der Katastrophe entstandenen offiziellen Erklärungen
der- europäischen Regierungen mit den aus der Krisis er-
wachsenen Akten vergleichen ?), dürfen wir ohne Fehl und
Zagen feststellen: Die deutsche und österreichisch-ungari-
sche Darstellung wird nicht nur durch die Akten der ver--
bündeten Regierungen bestätigt. Die Dreiverbandserklärungen
werden nicht nur durch die Akten der Dreiverbandsregie-
rungen widerlegt. Mehr als dies: aus den Dreiverbandsakten
selbst ergibt sich die Wahrheit der deutschen und öster-
reichisch-ungarischen Thesen. Mit den Beweisstücken der
Gegner in der Hand können die verbündeten Kaiserreiche
ihre Ankläger vor dem Tribunal der Geschichte verklagen.
England erklärte Deutschland den Krieg, weil dieser
Krieg das Endziel der englischen Politik war und sich jetzt,
da Russland und Frankreich gleichfalls zum Kriege bereit
waren, die beste Kriegskonjunktur bot. Wollte England jemals
den Krieg gegen Deutschland führen, so war das nur auf
Grund einer Situation, wie sie der Sommer 1914 bot,
') Siehe auch Anm. S. 352, 353, 361, 363.
°”) Siehe Einführung S. 5—16.