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Sie hat folgenden Wortlaut: „Ist dem Herrn Reichskanzler bekannt,
daß die Anwendung des Reichsvereinsgesetzes seitens einzelner Landes-
behörden noch immer gegen das Gesetz verstößt? Was gedenkt er zu tun,
um einen solchen Mißbrauch des Vereinsgesetzes zu verhindern? Was ge-
denkt der Herr Reichskanzler ferner zu tun, um zu verhindern, daß trotz
der Erklärung, die der Staatssekretär des Innern während der Beratung
des Vereinsgesetzes abgegeben hat, nach wie vor Beamte lediglich aus der
Tatsache, daß Gastwirte ihre Räume zu politischen Versammlungen her-
gegeben haben, den Grund entnehmen, diesen Gastwirten die Erlaubnis zur
Abhaltung von Lustbarkeiten und dergl. zu beschränken oder zu entziehen
oder sie von der Hergabe ihrer Lokale durch Bedrohung mit derartigen
Schädigungen abzuhalten unternehmen.“
Zur Begründung führt Abg. Dr. Müller-Meiningen aus, daß dem
Reichstag 1. die Prüfung der Ausführungsbestimmungen der Einzelstaaten
zum Reichsvereinsgesetz, 2. die Kritik der Ausführung des Vereinzsgesetzes
durch die Landesbehörden und 3. die Kritik rechtskräftiger Urteile, in denen
die Rechtsprechung prinzipiell in falsche Wege geleitet werde, zustehen müsse.
Für die Reichsregierung bestehe die Pflicht einzuschreiten, wenn die unteren
Behörden das Gesetz in einer den gegebenen Zusicherungen widersprechenden
Weise ausführen. Kaum jemals ist der Name eines Staatsmannes so eng
mit einem Reichsgesetz verbunden, als der des gegenwärtigen Reichskanzlers
mit dem Reichsvereinsgesetz. Da Herr v. Bethmann Hollweg mehrfach hier
für eine loyale Handhabung dieses Gesetzes eingetreten ist, so hätte ich den
dringenden Wunsch gehabt, daß er wenigstens dieses eine Mal mit seiner
Parlamentsscheu gebrochen hätte und es der Mühe für wert gehalten hätte,
hier zu erscheinen. Allmählich ist die Schonzeit für eine verständnislose
Bureaukratie vorbei. Die preußische und sächsische Bureaukratie hängt mit
einer gewissen Zärtlichkeit an ihrer reaktionären Tradition und wir wissen,
daß dagegen nur in zähem Kampf anzukämpfen ist. So verfolgt unsere
Interpellation den Zweck, 1. den Behörden immer wieder zu Gemüte zu
führen, daß wir allmählich eine genaue Kontrolle über die Ausführung des
Vereinsgesetzes im Deutschen Reiche verlangen, und 2. den Zweck, der Reichs-
regierung selbst die Möglichkeit zu geben, Aufklärung über eine Reihe von
Fällen zu gewähren, die in der Oeffentlichkeit großes Aussehen erregt haben.
Da ist zunächst der Sprachenparagraph des Gesetzes, der zu Beschwerden
Anlaß gibt. Im August des Vorjahres hat nämlich die Kieler Polizei an-
läßlich der Abhaltung einer Friedenskundgebung den zurzeit in Deutsch-
land weilenden englischen Arbeiterdeputierten, die an dieser Versammlung
teilnehmen sollten, das Sprechen in englischer Sprache verboten. Zu den
so Gemaßregelten gehörte auch der Deputierte Macdonald, der wenige
Wochen vorher in Berlin von den deutschen Behörden feierlich empfangen
worden war. Durch dieses Verbot ist die internationale Conrtoisie voll-
ständig verletzt worden. Eine solche Anwendung des Vereinsgesetzes mußte
uns vor dem Auslande bloßstellen, und es kann nicht wundernehmen,
wenn man sich in England über ein derartiges Vorgehen unserer Polizei-
behörden lustig macht. An vielen Einzelbeispielen wurde klar gemacht,
daß häufig eine schikanöse Auslegung des Gesetzes von der Polizei an-
gewandt und von den Gerichten gutgeheißen werde. Zusammenfassend sage
ich: Wir stehen nach wie vor auf dem Standpunkt, daß dieses neue Reichs-
vereinsgesetz einen großen politischen Fortschritt bedeutet, wir freuen uns,
daß sogar die gegnerische Presse das allmählich einzusehen beginnt. Um
so mehr haben wir die Verpflichtung, darauf zu sehen, daß das Gesetz so
zur Anwendung gelangt, wie es von der Mehrheit des Parlaments gewollt
ist. Der jetzige Reichskanzler haftet uns mit seiner ganzen Persönlichkeit