Nation, Volk, Gesellschaft und Stände.
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a) Der Klerus war nach katholischer Auffassung durch seine
Weihe über das Volk erhaben und der Autorität des Staates,
insbesondere der Gerichtsbarkeit desselben, sowie der Wehr- und
Steuerpflicht entzogen. Die Forderungen des Klerus wurden nie
anerkannt, und je mehr sich die Bildung verallgemeinerte und das
Staats- und Rechtsbewußtsein erstarkte, um so mehr wurde dem
Klerus seine gegenwärtige Stellung angewiesen, in der er innerhalb
des Staates steht und dem gemeinsamen Reichs= und Landesrecht
unterworfen ist.
b) Der Adel, als sozial und politisch ausgezeichneter Stand,
zeigte, wie überall sonst, so auch in Deutschland, den Gegensatz
zwischen dem mächtigeren und vornehmeren Herrenstand (ursprüng-
lich allein Adel, nobilitas) und der Ritterschaft, welche aus
Vasallen und Dienstleuten bestand.
Daher die Unterscheidung zwischen hohem und niederem Adel.
Der hohe deutsche Reichsadel die sog. Semperfreien
(Sendbarfreien, Hochfreien) entwickelte sich aus der mit der Richter-
würde der Gaugrafen bekleideten Herrenfamilien.
Diese Landesherren führten auf den Reichstagen die ent-
scheidenden Stimmen.
Landeshoheit (Reichsunmittelbarkeit) und Reichsstandschaft
sind daher die beiden höchsten Merkmale des deutschen hohen
Adels, nach denen sich auch die Ebenbürtigkeitsfrage entscheidet.
Der niedere Adel setzte sich aus verschiedenen Elementen,
die eine ausgezeichnete Stellung einnahmen, zusammen; insbesondere
waren Gründe der Erhebung: erbliches Schöffenamt, Ritterdienst,
Hofdienst.
Dieser Adel besaß auf seinen Gütern überall die grund-
herrliche Gerichtsbarkeit und ortspolizeiliche Gewalt, in
manchen Ländern auch die Landstandschaft, während er, selbst wenn
er wie die Reichsritterschaft reichsunmittelbar war, zur Reichs-
standschaft nie gelangte.
Die Stellung des ritterschaftlichen Adels ist durch die Ver-
ünderung des Kriegswesens, den Untergang der Lehens-
verfassung, die Beseitigung der Patrimonialgerichte, sowie durch die
Beseitigung der Reichsunmittelbarkeit für die Reichsritterschaft (1806)
völlig umgestaltet, so daß jetzt der niedere Adel, je nach den
persönlichen Verhältnissen seiner Angehörigen, nur noch die Stellung
einer „sozialen Aristokratie“ einnimmt.