Full text: Die Ministerverantwortlichkeit und der Staatsgerichtshof im Königreich Sachsen.

Die Ministerverantwortlichkeit des Deutschen Reichs. 29 
nur die Bestimmung, daß die Anordnungen und Verfügungen des Kaisers im 
Namen des Reichs erlassen werden und zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des 
Reichskanzlers bedürfen, welcher dadurch die Verantwortung übernimmt. Letzterer 
wird vom Kaiser ernannt, ist Vorsitzender und Leiter des Bundesrathes und kann 
durch die Mitglieder des letzteren sich vermöge schriftlicher Substitution vertreten 
lassen. 
Es hat nicht fehlen können, daß diese nur den Reichskanzler für seine Per- 
son verantwortlich machenden Bestimmungen beim Reichstage und im Volke viel- 
fachen Anstoß erregt haben und daß eine Abänderung der Verfassung und die 
Errichtung verantwortlicher Reichsministerien vielfach im Reichstage und in der 
Presse diskutirt worden ist. 
Bei Gelegenheit der Berathung im Deutschen Reichstage über die Feststellung 
des Haushaltetats des Deutschen Reichs im März 1877 kam die Frage wegen 
Errichtung verantwortlicher Reichsministerien, insbeson dere eines verantwortlichen 
Finanzministers, wieder zur Sprache. Lasker erklärte es für einen Theil des 
Strebens auf dem Reichstage, wirkliche verantwortliche Leiter der einzelnen Mi- 
nisterial-Departements zu schaffen. 
Fürst Bismarck sprach sich wieder dagegen aus und meinte, diese verant- 
wortlichen Reichsminister würden ohne materielle Macht sein. Man habe das an 
dem Reichseisenbahnamte gesehen, das seinen Zweck unvollkommen erfülle. 
Die eigentliche Macht würde immer in den Particularstaaten verbleiben. 
Preußen selbst würde hierin an der Spitze stehen. Es müsse der Zeit überlassen 
bleiben, die organischen Entwicklungen im Reichsleben sich ausbilden zu lassen, man 
dürfe nicht zu schnell an der Verfassung, ohne deren Abänderung und Vervoll- 
ständigung verantwortliche Reichsminister nicht geschaffen werden könnten, rütteln. 
In der Sitzung vom 13. März 1877 behandelte Bismarck dieses Thema, angeregt 
durch die Rede des Abgeordneten Hänel, noch weiter; er giebt auf den Vorhakt 
Hänels zu, daß er seine Meinung über die Reichsminister gewechselt, er betrachte 
sich auf dem Gebiete der Ausbildung der Reichsverfassung selbst noch als Schülkr 
und sei den Eindrücken der Erfahrung nicht unzugänglich. 
Von Haus aus habe er die Ansicht gehabt, es müßten verantwortliche Mi- 
nisterien geschaffen werden. 
Allein es frage sich, mit welchen Befugnissen solle einheitliche Verantwort- 
lichkeit eines Premierministers bestehen, oder solle er neben vier andere Minister 
als gleichberechtigte Personen gestellt werden und die Majorität entscheiden. Er 
habe stets an der Einheit der Verwaltung festgehalten. Die Verantwortlichkeit 
werde immer dadurch ihren Abschluß finden, daß ein Minister auf einen erkenn- 
baren Wunsch der Mehrheit der Volksvertreter zurücktrete. « 
Bismarck sprach am Ende seiner Rede zur Vermeidung von Mißverständnissen 
ausdrücklich aus, daß mit demjenigen, was er über die Reichsministerien und 
deren Verantwortlichkeit gesagt, keineswegs gemeint sei, diese Frage realisiren zu 
wollen. Unsere Ansicht in der Sache ist die — und wir stimmen darin dem 
Reichskanzler bei — die neue Einrichtung verantwortlicher Reichsminister nicht
	        
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