Die Ministervexantwortlichkeit in Oesterreich. 41
Diese Verantwortlichkeit umfaßt insbesondere:
a) alle in die Zeit ihrer Amtsführung fallenden Akte der obersten Re-
gierungsgewalt, und zwar vorzüglich die auf ihren Antrag erlassenen
oder von ihnen gegengezeichneten oder ohne Gegenzeichnung eines
Ministers vollzogenen kaiserlichen Anordnungen;
b) ihre eigenen innerhalb ihres amtlichen Geschäftskreises erlassenen
Weisungen und Befehle;
c) die absichtliche Unterstützung gröblicher Pflichtverletzungen eines an-
deren Ministers.
Die mit der selbstständigen Leitung eines Ministeriums betrauten Beamten
sind den Ministern in Beziehung auf deren Verantwortlichkeit gleichzuhalten.
Die Verfolgung wegen der im allgemeinen Strafgesetzbuche verpönten Hand-
lungen oder Unterlassungen, welche einem Minister zur Last fallen, steht in der
Regel den ordentlichen Gerichten zu.
Jeder Minister kann vor den ordentlichen Gerichten auf Ersatz desjeni-
gen Schadens belangt werden, den er durch eine vom Staatsgerichtshofe als
gesetzwidrig erkannte Amtsführung dem Staate oder einem Privaten zuge-
fügt hat.
Diese Klage ist daher insofern und so lange unzulässig, als wegen der
Handlung, wodurch die Verletzung entstanden ist, die Ministeranklage erhoben
wurde und fortgesetzt wird.
Das Recht zur Anklage steht jedem der beiden Häuser des Reichsrathes zu.
Ein hierauf gerichteter Antrag muß schriftlich überreicht werden, und im
Herrenhause von 20, im Abgeordnetenhause von 40 Mitgliedern unterzeichnet sein.
Der Antrag hat die Thatsachen, auf welche er gestützt wird, und die Pflicht-
verletzung, die Gegenstand der Klage ist, genau zu bezeichnen.
Jedes der beiden Häuser des Reichsrathes kann auch strafbare Handlungen
der Minister, welche unter das allgemeine Strafgesetz fallen, soweit dieselben mit
den öffentlichen Funktionen des Ministers in Verbindung stehen, zum Gegenstande
der Anklage machen.
In diesem Falle wird für dergleichen Handlungen der Staatsgerichtshof
allein zuständig, und ist die etwa bei dem ordentlichen Gerichte anhängige Unter-
suchung an den Staatsgerichtshof abzutreten.
Der Präsident des betreffenden Hauses hat binnen acht Tagen nach Ueber-
reichung des Antrages denselben auf die Tagesordnung zu setzen.
Die Verhandlung hat sich darauf zu beschränken, ob das Haus zur Tages-
ordnung übergehen, oder ob es den Antrag an einen Ausschuß zur Vorberathung
verweisen wolle.
Der gewählte Ausschuß hat die zur Begründung der Anklage zweckdienlichen
Vorerhebungen zu pflegen, er kann Zeugen und Sachverständige, wie auch den
Minister, gegen den der Antrag lautet, zur Aufklärung vernehmen, oder von ihm
eine schriftliche Rechtfertigung und die zu seiner Vertheidigung dienlichen Urkunden
entgegennehmen.