Full text: Die Ministerverantwortlichkeit und der Staatsgerichtshof im Königreich Sachsen.

Die Ministerverantwortlichkeit in Sachsen. 3 
gestimmt werden kann. Wir erinnern daran, als von Sachsen im Jahre 1869 
der Antrag auf Errichtung eines Bundesoberhandelsgerichts vom Justizministerium 
gestellt wurde, es gab damals Viele, welche meinten, der Minister habe ohne Noth 
verfassungswidrig einen Theil der Justizhoheit des sächsischen Staates gefährdet. 
Die Art. 4. und 78. der Reichsverfassung vom 16. April 1871 sind von einer 
Dehnbarkeit, die sehr dazu geeignet ist, Konflikte herbeizuführen, wenn bestimmte 
Rechte der einzelnen Bundesstaaten, die in deren Verhältniß zur Gesammtheit 
festgestellt sind, eine Abänderung erleiden sollen. Auch der vorsichtigste und ge— 
wissenhafteste Minister kann hierbei in eine schwierige Lage gerathen. 
Das deutsche Reich besitzt bekanntlich keine verantwortlichen Reichsminister 
und Fürst Bismarck, der allein verantwortliche Reichskanzler, ist gegen Errich- 
tung von solchen, wie er unter anderm in seiner am 22. November 1875 im 
Reichstage gehaltenen Rede auseinander gesetzt hat. « 
Bei der allgemeinen Debatte der Königlich sächsischen Ständeversammlung 
in der II.Kammer über das Gesetz vom 3. Februar 1838 wurde von dem Ab- 
geordneten v. Dieskau die Vorlage eines speziellen Gesetzes über Ministerver— 
antwortlichkeit vermißt und die Forderung im Deputationsgutachten, Oeffentlich— 
keit des Prozesses eintreten zu lassen, befürwortet. Das Gutachten sprach sich 
dahin aus, daß der Anklageprozeß, in dessen Formen sich das Verfahren gegen 
die Ministerialvorstände bewegen sollte, seinem Wesen nach nicht Heimlichkeit, son— 
dern Oeffentlichkeit beanspruche und daß letztere sowohl im Interesse des Ange— 
klagten, als der Stände des Volkes, der Regierung und des Gerichtshofes liege. Der 
Druck der Prozeßakten sei nicht ausreichend. Die meisten Redner, Eisenstuck, 
Todt, Dieskau, Dr. v. Meyer, Atenstädt und von Thielau, erklärten 
sich für die Oeffentlichkeit und es wurde auch dahin Beschluß gefaßt, daß wenig— 
stens theilweise, nämlich für das Schlußverfahren, die Abhörung der Zeugen und 
die Ableugnung von Urkunden durch den Minister, die Oeffentlichkeit des Verfah— 
rens eintreten sollte. Die J. Kammer dagegen war anderer Ansicht, motivirte 
dieselbe in einem Berichte und lehnte die Oeffentlichkeit ab. 
Als Gegengründe waren außer den bekannten, die gewöhnlich aufgestellt 
werden, namentlich geltend gemacht worden, daß große Aufregung im Volke da— 
durch könne herbeigeführt werden, daß das Gesetz den Charakter eines Ausnahme— 
gesetzes annehmen würde, insofern seither die Oeffentlichkeit im Strafverfahren 
noch nicht eingeführt sei, daß die Oeffentlichkeit des Strafverfahrens überhaupt 
ein Bedürfniß des Volkes für jetzt nicht sei, daß schriftliches und mündliches Ver- 
fahren vermischt werde und daß das in den Kammern Beschlossene für die beab- 
sichtigte Oeffentlichkeit zu wenig leiste. 
Die zweite Kammer beharrte bei ihrem Beschlusse ungeachtet der beredten, 
geistvollen und gründlichen Gegenvorstellungen des damaligen Justizministers 
v. Könneritz. 
Eine Vereinigung zwischen beiden Kammern kam nicht zu Stande. Vergl. 
den anderw. Bericht der 1. Dep. der I. Kammer vom 23. Juni 1837, Landtags- 
17
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.