Full text: Deutsche Staatsgrundgesetze. Heft 8.2. Die Verfassung des Großherzogthums Hessen. Vom 17. Dezember 1820.

S. 333. 
90 Rechtsverhältnisse der Standesherrn. 
  
Den Vorsitz und die Leitung hat der genannte Präsident Un- 
seres Oberappellations= und Cassations-Gerichts. Zwei Ober- 
appellations= und Cassations-Gerichts-Räthe werden von dem Prä- 
sidenten zu Re- und Correferenten ernannt, welche jedoch nur eine 
berathende Stimme haben. Der erste Secretär des Oberappel- 
lations= und Cassations-Gerichts führt das Protocoll. 
Das von den Gerichts-Beisitzern gefällte Erkenntniß wird Uns, 
mit dem Gutachten über die etwa vorhandenen Begnadigungs- 
Gründe und den desfallsigen Anträgen der beiden Referenten, zur 
Entschließung vorgelegt. Erfolgt keine Begnadigung, so wird das 
Urtheil auf gesetzliche Weise durch Unser Oberappellations= und 
Cassations-Gericht zum Vollzug gebracht. 
Dieses Gericht von Standesgenossen kommt nicht nur den 
Häuptern der standesherrlichen Familien, sondern auch den eben- 
bürtigen Mitgliedern dieser Familien beiderlei Geschlechts zu statten. 
Alle diejenigen Mitglieder standesherrlicher Familien aber, welche 
sich in Unserem Militär= oder Civil-Dienst befinden, werden in 
peinlichen Fällen nach den allgemeinen gesetzlichen Formen gerichtet. 
In Civil-Strafsachen und in Polizei= und Forststraf- 
sachen ist Unser Oberappellations= und Cassations-Gericht die 
untersuchende und erkennende Behörde; es bildet für die Entscheidung 
derselben in erster Instanz eine Deputation von drei Mitgliedern 
und entscheidet über das Rechtsmittel der Revision nach Maßgabe 
der Verordnung vom 3. Juni 1812 und über Recurse in Polizei- 
und Forststrafsachen nach Artikel 3 des Gesetzes vom 1. Juli 1836. 
b) In Civil-Rechtsstreitigkeiten wird ein privilegirter Ge- 
richtsstand bestehen: 
1) für Klagen, welche die Succession in den Nachlaß der 
Mitglieder standesherrlicher Familien oder die Ansprüche 
der Familien-Angehörigen aus den standesherrlichen Fami- 
lienstatuten zum Gegenstand haben, wenn diese Klagen 
gegen Mitglieder einer standesherrlichen Familie gerichtet 
sind, und 
2) für Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Vormund eines standes- 
herrlichen Familienmitgliedes und diesem seinem Mündel, 
und beziehungsweise deren Erben, über Ansprüche aus der 
geführten Vormundschaft. 
Diese Rechtssachen sind von Unserem Oberappellations= und 
Cassations-Gericht in erster Instanz von einer aus drei Mitgliedern 
zu bildenden Deputation zu entscheiden, in zweiter Instanz mittelst 
des Rechtsmittels der Revision nach den Bestimmungen der oben 
erwähnten Verordnung vom 3. Juni 1812.
	        
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