— 117 —
3. Strafprozeßordnung. !) Am 27. Februar 1874 begannen die
Beratungen des Justizausschusses.
Großen Eindruck in bundesrätlichen wie in Reichstagskreisen machte der
Ausgang der Beratung von diesem Tage. Der württembergische Justizminister
v. Mittnacht referirte und vertrat dabei energisch die Beibehaltung der Schwur-
gerichte gegen die Einführung der Schöffengerichte; er betonte die segensreichen
Erfahrungen mit den Schwurgerichten und die warmen Sympathien, welche
dieselben bei der Bevölkerung in ganz Süddeutschland genössen. Bayern und
Hessen unterstützten ihrerseits lebhaft den Referenten und protestirten gleichfalls
gegen die Vorschläge des Entwurfs. Der preußische Justizminister Dr. Leon-
hardt verteidigte den Entwurf zwar nach allen Richtungen, erklärte sich aber
in einer allseitig anerkannten zuvorkommenden Weise bereit, der Stimmung in
Süddeutschland Rechnung zu tragen und auf die Schöffengerichte verzichten zu
wollen. Die Vorlage mußte infolge dieses Beschlusses, wonach Schöffen nur
neben dem Einzelrichter thätig sein sollen, einer vollständigen Umarbeitung unter-
zogen werden, womit unverzüglich vorgegangen wurde.
Damit war die Verständigung über die großen Grundzüge des Entwurfs
gewonnen. 2)
Der Entwurf erfuhr in 99 Punkten Abänderungen durch den Justiz-
ausschuß.
Die Strafprozeßordnung zerfiel in 7 Bücher und 425 Paragraphen. 3)
In der Sitzung vom 15. Juni beriet der Ausschuß des Bundesrats für
das Justizwesen den von der Subkommission für Strafprozesse aufsgestellten,
den Regierungen der Bundesstaaten zur Prüfung mitgeteilten Entwurf eines
Gesetzes zur Einführung der Strafprozeßordnung. Der Ausschuß beschloß ein-
stimmig, bei dem Bundesrat zu beantragen, dem von der Subkommission für
Strafprozesse vorgelegten Gesetzentwurf seine Zustimmung zu erteilen.
Wie nachträglich verlautet, wurde von dem Justizausschusse gleichzeitig eine
1) Vgl. Bd. I. S. 163, Bd. II. S. 355. Ebenso wie der Zivilprozeßordnung widmete
der „Reichsanzeiger“ auch der Strafprozeßordnung einen Rückblick, vom 18. April beginnend
bis zur Mitteilung der Vorlage an den Reichstag. Abgedruckt in der „Nordd. Allg. Ztg.“
Nr. 217 v. 18. 9. 74.
2) Vgl. über diesen Beschluß die „Nat.-Ztg.“ Nr. 105 v. 4. 3. 74 u. Nr. 102
v. 2. 3. 74: „Mit dem im Justizausschusse des Bundesrats ausgesprochenen Rücktritt von
dem Vorschlage, in die deutsche Strafprozeßordnung allgemein, und also auch zum Ersatz
für die Geschworenen, Schöffengerichte einzuführen, haben die preußische Staatsregierung
und die Regierung des Deutschen Kaisers wieder einen starken Beweis der Rücksichtnahme
gegeben, welche sie auf die politischen Stimmungen der süddeutschen Bevölkerungen und
Regierungen überall da zu nehmen bereit sind, wo dies nach ihrer gewissenhaften Ueber-
zeugung irgend mit den Reichsinteressen vereinbar erscheint."“
3) Bemerkungen zum richtigen Verständnis des dem Entwurf zu Grunde liegenden
Systems s. „Nordd. Allg. Ztg.“ Nr. 227 v. 30. 9. 74.