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Reichstagssession die erstgenannten Gesetze zu prüfen haben würde. Die Ein—
führung der Justizgesetze selbst war zum 1. Januar 1877 in Aussicht genommen.
In einer Besprechung der Beschlüsse des Bundesrats hob die „National=
Zeitung“ mit Dank hervor, daß nach sechsjährigen angestrengten Arbeiten die
Bestrebungen für die deutsche Rechtseinheit bereits so weit geführt haben, daß
wenigstens für das Gebiet des formalen Prozeßrechts mit der Sanktion aller
Regierungen versehene Entwürfe für die Behandlung durch das Reichsparlament
fertig vorliegen. „Dies Ergebnis ist um so bedeutsamer, da es auch im Parlament
an der Bescheidung nicht fehlen wird, welche innerhalb des Bundesrats von
fast allen Regierungen geübt worden ist, um an die erreichte Station zu gelangen.
Man wird auch dort, wie hier, gern manche Bedenken zurückstellen, um den
großen Vorteil einer nach gleichen Grundsätzen aufgebauten deutschen Gerichts-
verfassung und eines einheitlichen Prozeßrechts zu erhalten. Derselbe wiegt
viele Mängel im einzelnen auf. Gerade auf den erwähnten Gebieten sind
wir mehr als auf anderen darauf angewiesen, das Prinzip der Einheitlichkeit so
hochzuschätzen, daß in hervorragendem Maße gilt, daß das Wie" dem Ob'“
nachzustehen habe und daß der rechtsbildenden Kraft unserer Nation die Ueber-
windung jetzt in den Kauf zu nehmender Mängel getrost zu überlassen ist.“
Geschäftliche Behandlung der Reichsjustizgesetze im Reichs-
tag. An die erste Lesung der großen Justizgesetze im Reichstag schloß sich
eine kurze Erörterung des auf die Zwischenkommission bezüglichen Antrages,
durch dessen Annahme der Reichstag sich bereit erklärte, einem Gesetze zuzu-
stimmen, nach welchem die eingesetzte Kommission ihre Arbeiten zwischen der
gegenwärtigen und der nächsten ordentlichen Session des Reichstags fortsetzen
und die Verhandlung über die bezeichneten Gesetzentwürfe in zweiter und dritter
Lesung während einer folgenden Session der gegenwärtigen Legislaturperiode
ermöglicht werden sollte. Der Abgeordnete Lasker bemerkte zur Begründung des
Antrages, nach dem Standpunkte des verfassungsmäßigen Rechtes seien die
Sessionen nicht in der Weise als zusammenhängende zu betrachten, daß ohne
ein Gesetz der Reichstag berechtigt wäre, die in einer Session begonnenen Arbeiten
in der nächsten Session fortzusetzen oder während der Vertagung eine Kom-
mission mit der Beratung zu betrauen. Dieses Hindernis könne beseitigt werden,
wenn ein solches Gesetz vereinbart werde, und der Antrag gebe es anheim, daß
aus der Mitte des Bundesrats vielleicht der Gesetzesvorschlag gemacht werde.
Hierauf erklärte der Staatsminister Delbrück, die verbündeten Regierungen hätten
so wenig wie die Antragsteller die großen Schwierigkeiten verkannt, welche die
Beratung der in Rede stehenden Gesetzentwürfe voraussichtlich haben würden.
Sie hätten eines Vorschlages so lange sich enthalten, als nicht aus dem
Hause selbst eine bestimmte Ansicht über diese Frage laut geworden sei. Die
verbündeten Regierungen würden aber bereitwilligst ihrerseits die formellen