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finden sollten. 1) Am 20. Februar 1874 brachte Preußen einen bezüglichen Gesetz-
entwurf im Bundesrat ein, dessen Wortlaut nebst den Motiven alsbald ver-
öffentlicht wurde. 2) Die Vorlage der preußischen Staatsregierung war dahin
gerichtet, daß Kirchendiener, welche durch gerichtliches Urteil aus ihrem Amte
entlassen worden sind, ihrer Staatsangehörigkeit durch einen Beschluß der
Zentralbehörde ihres Heimatstaats verlustig erklärt werden können. 3) Solange
ein solcher Beschluß nicht ergangen ist, kann ihnen durch Verfügung der Landes-
polizeibehörde der Aufenthalt in bestimmten Bezirken oder Orten versagt oder
angewiesen werden. Gleiche Vorschriften sollen auf diejenigen Kirchendiener
Anwendung finden, welche wegen Vornahme von Amtshandlungen in einem
Amte, das den Vorschriften der Staatsgesetze zuwider ihnen übertragen oder
von ihnen übernommen ist, rechtskräftig zu Strafe verurteilt sind.
Der preußische Entwurf wurde vom Justizausschuß nicht wesentlich amen-
dirt. Das Gesetz sollte betitelt sein: „Ueber den Verlust der Staatsangehörigkeit
bestrafter Religionsdiener“ und der § 1 etwas modifizirt lauten: „Einem Geist-
lichen oder anderen Religionsdiener, welcher durch Entscheidung der zuständigen
Staatsbehörde aus seinem Amt entlassen worden ist, dieser Entscheidung aber
nicht Folge leistet, kann durch Verfügung der Landespolizeibehörde der Aufenthalt
in bestimmten Bezirken oder Orten versagt oder angewiesen werden. Handelt
derselbe dieser Verfügung zuwider, oder befaßt er sich mit Ausübung des ihm
entzogenen Amtes, so kann er seiner Staatsangehörigkeit durch Beschluß der
Zentralbehörde seines Heimatstaates verlustig erklärt und aus dem Bundesgebiet
ausgewiesen werden.“ Der Justizausschuß ging dabei von folgenden Erwägungen
aus: Das vorliegende Gesetz hat lediglich den Zweck vor Augen, den Ungehorsam
gegen die weltliche Autorität zu beugen. Es würde über diesen Zweck hinaus-
greifen, wenn es seiner Herrschaft auch Geistliche unterstellen wollte, welche
sich der wider sie ausgesprochenen Amtsentlassung unterworfen haben. Die
1) Vgl. „Nat.-Ztg.“ Nr. 37 v. 23. 1. 74, Nr. 67 v. 10. 2. 74.
2) Vgl. die „Nordd. Allg. Ztg.“ Nr. 57 v. 1. 3. 74. Wortlaut des Entwurfs
Nr. 54 v. 5. 3. 74. Die Motive dazu findet man auch abgedruckt in der „Nat.-Ztg.“
Nr. 103 u. 105 v. 3. u. 4. 3. 74. Stellungnahme der „Nat.-Ztg.“ zu dem Entwurfe
Nr. 106 v. 4. 3. 74. Agitation der bayerischen Ultramontanen gegen den Entwurf s. Schultheß
Europ. Geschichtskal. 1874 S. 93.
S) Die „Prov.-Corresp.“ Nr. 10 v. 11. 3. 74 bemerkte zur Rechtfertigung dieser
Maßregel: „In Deutschland wird die Strafe der Verbannung, welche dem jetzigen deutschen
Strafrecht fremd ist, nicht zur Anwendung zu bringen sein. Indessen derselbe Zweck läßt
sich in einer vollkommeneren und richtigeren Weise erreichen, wenn für die Fälle der
bezeichneten Art die Entziehung der Reichs= und Staatsangehörigkeit eintritt, welche für
den davon Betroffenen den Verlust der staatsbürgerlichen und derjenigen bürgerlichen
Rechte, die von dem Besitz des Indigenats abhängig sind, für die Staatsgewalt aber die
Befugnis zur Folge hat, den aus der Staatsgenossenschaft ausgeschiedenen und damit in
die Lage eines Fremden eingetretenen Kirchendiener, sobald dies im öffentlichen Interesse
erforderlich erscheint, aus dem Staatsgebiete durch polizeiliche Verfügung auszuweisen.“