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Am 17. März 1874 nahm der Bundesrat das Verbannungsgesetz mit
großer Mehrheit an.
Der Plenarberatung wohnten der preußische Appellationsgerichtspräsident
v. Schelling und der preußische Geheime Regierungsrat Lucanus bei, welche
bei der Beratung im Ausschusse mitgewirkt und an der Entstehung des
Entwurfes im preußischen Kultus= beziehungsweise Justizministerium wesentlichen
Anteil hatten. Zu § 1 beantragte der mecklenburgische Bevollmächtigte, den
Anfang wie folgt zu fassen: „Einem Geistlichen oder anderen Religionsdiener
der katholischen Kirche, welcher“ u. s. w. Dieser Antrag wurde mit Stimmen-
mehrheit abgelehnt Der bayerische Bevollmächtigte beantragte im ersten Absatze
(Ein Religionsdiener, welcher durch Entscheidung der zuständigen Staatsbehörde
seines Amtes entsetzt ist, u. s. w.) statt der Worte: Entscheidung der zuständigen
Staatsbehörde, zu setzen: „agerichtliches Urteil“. Dieser Antrag und mit demselben
der § 1 erhielt die Zustimmung der Mehrheit. Man war darüber einverstanden,
daß die Befugnis der Landespolizeibehörde zur Versagung oder Anweisung des
Aufenthalts an bestimmten Orten oder Bezirken lediglich auf das Gebiet des
betreffenden Staates beschränkt sei. Weitere Anträge des bayerischen Bevoll-
mächtigten gegen die Ausweisung schon nach der eingeleiteten Untersuchung
u. s. w. wurden abgelehnt und die §§ 2 und 3 nach den Ausschußanträgen
angenommen. Die Ueberschrift wurde wie folgt gefaßt: „Gesetz, betreffend die
Verhinderung der unbefugten Ausübung von Kirchenämtern.“ Gegen das Gesetz
stimmten nur beide Mecklenburg und Reuß älterer Linie. Der Bevollmächtigte
von Oldenburg enthielt sich wegen Mangels an Instruktion der Abstimmung. 1)
Der Entscheidung über das Schicksal des Gesetzes wurde — so berichtete
eine dem Reichskanzler nahestehende Persönlichkeit — insbesondere von diesem
mit Sorge entgegengesehen. „Die Neigung des Reichstags, die juristi-
schen Bedenken vor den politischen Erwägungen zu berücksichtigen, erscheint
dem Fürsten überaus bedenklich, insbesondere in einem Kampfe wie in dem
mit der römischen Kurie, in welchem er sich einem Gegner gegenübergestellt
findet, der ohne die geringsten Skrupel in der Wahl der Mittel, mit der
vollendetsten Fähigkeit, je nach der Zweckmäßigkeit von der einen Kampfesmethode
zu einer anderen, vollkommen widersprechenden und vollkommen unerwarteten
überzugehen, der deutschen Politik die schwersten Hindernisse bereitet. Der
Fürst hofft, daß der Reichstag mit ihm diesen Kampf mit politischen Mitteln
und aus politischen Gesichtspunkten zu führen gewillt sein werde, und glaubt
sich um so mehr zu dieser Hoffnung berechtigt, als er schon bei der Beratung
an das Plenum erstattete Bericht enthielt keine Mitteilung über den Gang der Ausschuß-
verhandlungen, sondern unterbreitete dem Bundesrat nur den abgeänderten Entwurf in
der von der „Nat.-Ztg.“ Nr. 123 v. 14. 3. 74 mitgeteilten Fassung.
1) Vgl. die „Nat.-Ztg.“ Nr. 130 u. 131 v. 18. u. 19. 3. 74 u. 143 v. 26. 3. 74.