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feste Regelung der deutschen Wehrkraft und Wehrfähigkeit ist geboten durch die
erste Pflicht eines jeden staatlichen Gemeinwesens: die Unabhängigkeit seines
Gebiets und die friedliche Entwicklung der ihm innewohnenden geistigen und
wirtschaftlichen Kraft zu schützen.“
Wie erinnerlich!) stellte der Vorsitzende, Staatsminister Delbrück, in der
Sitzung des Bundesrats vom 29. Dezember 1873 den Antrag, den Entwurf
eines Reichs-Militärgesetzes, welcher auf Grund des Bundesratsbeschlusses vom
11. Mai 1873 dem aufgelösten Reichstag vorgelegt, von letzterem aber nicht
mehr in Beratung gezogen worden war, dem neugewählten Reichstag gleich bei
dessen Zusammentritt wieder vorzulegen, und zwar mit einigen Aenderungen
und zusätzlichen Bestimmungen, welche sich inzwischen als notwendig oder
wünschenswert herausgestellt hatten. Soweit die vorgeschlagenen Aenderungen
nicht lediglich redaktioneller Art waren oder Versehen in der Fassung des
ursprünglichen Entwurfs berichtigten, ließen sie sich unter vier Gesichtspunkte
zusammenfassen. Sie enthielten: 1. Konsequenzen des inzwischen ergangenen
Militär-Strafgesetzbuchs; 2. Verbesserungen in der Organisation des Militär—
Ersatzwesens; 3. Aenderungen im Militär-Justizwesen, insbesondere eine Be—
stimmung über den Gerichtsstand der Militärpersonen; 4) endlich Erschwerungen
der Auswanderung Wehrpflichtiger.
Es wurde vom Bundesrat beschlossen, den Antrag den Ausschüssen für
das Landheer und die Festungen, für Justiz= und für Rechnungswesen zu
überweisen.2)
Mitte Januar 1874 hatten die Ausschüsse die Beratung beendet und die
Vorlage mit einigen Modifikationen 3) angenommen. Zu lebhaften Erörterungen
führten die Bestimmungen, welche die Entziehung von der Dienstpflicht betrafen.
Man sah sich veranlaßt, an der Hand der Erfahrungen, welche man namentlich
den Auswanderungen gegenüber gemacht hatte, die bisherigen Strafbestimmungen
zu verschärfen. Die grundlegende Bestimmung des Entwurfs, an der Friedens-
präsenzstärke auch für die Zeit nach 1874 „bis zum Erlaß einer anderweitigen
gesetzlichen Bestimmung“ festzuhalten, fand im Bundesrat keinen Widerspruch,
umsomehr aber im Reichstag. Schließlich kam aber bekanntlich dort ein Kom-
promiß zu stande. Der Kaiser erklärte sich auf das Anraten des Fürsten
Bismarck damit einverstanden, daß die im § 1 des Militärgesetzentwurfs
der Bundesregierungen geforderte Friedenspräsenz für das Reichsheer von
401 659 Mann auf die Dauer von sieben Jahren bis zum 31. Dezember 1881
1) Vgl. Bd. II. S. 400.
2) Vgl. die „Nordd. Allg. Ztg.“ Nr. 3 v. 4. 1. 74.
3) Dieselben sind aufgezählt in der „Nat.-Ztg.“ Nr. 53 v. 1. 2. 74 und in der
„Nordd. Allg. Ztg.“ Nr. 27 v. 1. 2. 74; durch das neue Gesetz erfordertes Mehrerfor=
dernis (Budgetmaterial, vom Reichskanzler dem Bundesrat vorgelegt) s. „Nat.-Ztg.“ Nr. 66
v. 9. 2. 74.