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Die von Jahr zu Jahr wachsenden Bedürfnisse des Reichs ließen die Not-
wendigkeit, auf Vermehrung der direkten Einnahmen desselben hinzuwirken, immer
dringender hervortreten, da die Aufbringung des Mehrbedarfs durch Matrikular=
beiträge auf den Staatshaushalt der Bundesstaaten, welcher auf der Basis der
Vergangenheit das Erfordernis meist für eine mehrjährige Finanzperiode fest-
stelle, den störendsten Einfluß äußere. Die gehegte Erwartung, daß für das
Jahr 1875 der Mehrbedarf durch die Ueberschüsse des Jahres 1873 werde
gedeckt werden, sei ungeachtet der Fortdauer normaler politischer Verhältnisse
nicht in Erfüllung gegangen; vielmehr habe der durch Matrikularbeiträge zu
deckende Betrag um nahe an 26 Millionen Mark höher eingestellt werden müssen
als für das Jahr 1874. Auf die Fortdauer von Ueberschüssen zu rechnen, sei
aber überhaupt finanzpolitisch sehr bedenklich, und es liege die Gefahr nahe,
daß bei dem Ausbleiben der seitherigen Ueberschüsse die Matrikularbeiträge plötz-
lich eine unerschwingliche Höhe erreichen. Er sei daher beauftragt, dem dringenden
Wunsche Ausdruck zu geben, daß schon vor Aufstellung des nächsten Etats auf
neue Einnahmequellen ernstlich Bedacht genommen werde und als solche außer
der bereits früher in Frage gewesenen Tabaksteuer und dem Zoll auf Mineralöle
insbesondere eine Erhöhung der Biersteuer sowie die Einführung einer Reichs-
gewerbesteuer und einer umfassenden Reichsstempelsteuer zu bezeichnen. 1)
1) Ueber die augenblickliche Lage der Steuerreform bemerkte die „Spenersche Ztg."
im August 1874: „Die Reichsmatrikular-Umlagen werden namentlich von den kleineren
und ärmeren Bundesstaaten angefochten, welche in der That auch Grund haben, sich über
diese „Kopfsteuer zu beschweren. Auch die Reichsregierung würde gern sehen, wenn jene
Anweisung auf die Kassen der Einzelstaaten, von welchen einzelne gerade nicht glänzend
gestellt sind, ersetzt würde durch andere Einnahmen, welche dem Reiche direkt (und ohne
den Umweg durch die Staatskassen der Partikularstaaten) zuflössen. In diesem Sinne
haben sich sowohl der Reichskanzler als auch der Präsident des Reichskanzler-Amtes bei
verschiedenen Gelegenheiten im Reichstag geäußert. Den durch Einführung neuer Steuern
und Zölle, z. B. eines Eingangszolles auf Petroleum, gesuchten Ersatz hat aber bisher der
Reichstag geweigert. Was die Gewerbesteuer anlangt, so hatten bekanntlich die Abgeordneten
Dr. Braun und Dr. Porsch den Antrag gestellt, die Hausir= und Gewerbesteuer der Einzel-
staaten abzuschaffen und durch eine unifizirte Reichssteuer zu ersetzen. Der Antrag wurde
hauptsächlich im Interesse der wirtschaftlichen Freiheit begründet. Die Reichsbehörde schien
ihn aber auch finanziell acceptabel zu finden, weil er die Matrikular-Umlagen vermindern
würde. Sie gab eine dem Antrag günstige Erklärung ab. Später jedoch ist ihr Eifer
gänzlich erkaltet, und zwar, wie es scheint, infolge der Erwägung, daß keine einheitliche
Reichssteuerdirektion und keine Reichssteuerbehörden bestehen, und der Vollzug ein sehr
ungleicher und hinsichtlich der Verteilung der Lasten ungerechter werden würde, wenn man
alles den Finanzbehörden der Partikularstaaten überließe. Dasselbe Bedenken hat sich
bisher auch gegenüber dem Vorschlage, eine Reichseinkommensteuer mit der gegenwärtig
bestehenden Einkommensteuer des Einzelstaats und der Gemeinden zusammenfallen zu lassen,
gezeigt; letzterer verrät eine arge Unkenntnis der bestehenden Verhältnisse. Bekanntlich
existirt in der Mehrzahl der deutschen Gemeinden glücklicherweise keine kommunale Be-
lastung durch die Einkommensteuer. Auch in mehreren Einzelstaaten giebt es diese Steuer