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beim Bundesrat. Delbrück selbst hat Hofmann dem Reichskanzler zu seinem
Nachfolger designirt.!)
Die Schwierigkeit der Verhältnisse, unter denen der neue Präsident des
Reichskanzler-Amts die Erbschaft Delbrücks antrat, ist nicht zu verkennen. Von
welchen Gesichtspunkten aus die inneren Fragen behandelt werden sollten, wußte
kein Mensch, sowohl im preußischen Staatsministerium als im Parlamente und
im Bundesrat; klar war nur so viel, daß die bisherige Wirtschaftspolitik keine
befriedigenden Erfolge für sich aufzuweisen hatte. Die Stellung Hofmanns zum
Kanzler war von der Delbrücks grundverschieden. Delbrück war zwar formell
auch der Untergebene Bismarcks, er hatte sich aber in einem Dezennium that—
sächlich mindestens diejenige Stellung ihm gegenüber zu erkämpfen gewußt, wie
sie der einflußreichste preußische Minister, also Camphausen besaß. Nun ent—
sprach aber ein ihm gegenüber zu einer Macht gelangter Präsident des Reichs-
kanzler-Amts den Idealen Bismarcks von der Organisation der Reichsgewalt
nicht. Als der Staatsminister Hofmann das Erbe Delbrücks antrat, vermochte
sich denn auch das Reichskanzler-Amt auf dem Gipfel der alten Macht nicht
zu erhalten.
Die Minderung des Einflusses des neuernannten Präsidenten im Vergleich
zu Delbrück war auf äußere und innere Ursachen zurückzuführen. Wenn wir
zunächst bei den äußeren Verhältnissen stehen bleiben, so ist zu erwähnen, daß
der Geschäftsbereich des Reichskanzler-Amts vom 1. Januar 1877 ab sich zunächst
durch die Umwandlung der bisherigen Abteilungen für Elsaß-Lothringen und
für Justizwesen in gesonderte Aemter — des Reichskanzler-Amts für Elsaß-
Lothringen unter Herzog und des Reichs-Justizamts unter Friedberg — ver-
ringerte. Unter Delbrück gab es täglich durchschnittlich einhundertzwanzig Ein-
gänge, die der Chef alle ansah, darunter wohl ein Drittel bedeutsame Sachen.
Unter Hofmann ging die Zahl der Eingänge etwa auf zwei Drittel herab, um
später (1879) nach Ablösung des Reichsschatzamts eine noch weitere Ein-
schränkung zu erleiden.
Von nicht zu unterschätzender Bedeutung war ferner die im Mai 1878
erfolgte Begründung der Reichskanzlei, eines Zentralbureaus des Reichskanzlers,
dazu bestimmt, den amtlichen Verkehr desselben mit den Chefs der einzelnen
Ressorts zu vermitteln. War Bismarck früher, wenigstens so lange er sich in
Berlin aufhielt, auf den persönlichen Verkehr mit dem Präsidenten des Reichs-
kanzler-Amts angewiesen, so hatte sich jetzt ein Zwischenglied eingefügt, das
durch die Besetzung mit einer vorzüglichen und gewandten Kraft (Tiedemann)
bald eine nicht zu unterschätzende Bedeutung erhielt. Die Vorlagen des neuen
Präsidenten des Reichskanzler-Amts, bezüglich deren Bismarck Aufklärungen
1) Nach einem Artikel der „Hamb. Nachr.“ beweist diese Thatsache, daß Fürst Bismarck
mit Delbrück in Frieden auseinander gegangen ist.