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wünschte, schrieb er nunmehr nicht ausschließlich dem Staatsminister Hofmann,
vielmehr häufig dem Chef der Reichskanzlei zum Vortrag. Die neue Organi—
sation war für Bismarck kaum entbehrlich; ihre Bedeutung für die Ressortchefs
im Reich springt aber erst dann ins Auge, wenn man bedenkt, daß der Kanzler
einen großen Teil des Jahres fern von Berlin zuzubringen pflegte (1877/78
zum Beispiel neun Monate lang). Die Ressortchefs hatten nicht mehr in
demselben Maße wie früher das Ohr Bismarcks, und es ging ihnen ungefähr
wie Ministern, die zwischen sich und dem die Residenz gerne fliehenden
Monarchen einen einflußreichen Kabinetsrat stehen sehen. Geschäfte, die
Delbrück in fünf Minuten beim Chef erledigte, indem er nur ein paar Häuser
weit ging und eine ihm zu jeder Stunde bereite Thür öffnete, erforderten jetzt
allerlei Umständlichkeiten. Der Staatsminister Hofmann pflegte zwar auch dem
Chef mündlich Vorträge zu erstatten, jedoch lange nicht in dem Umfange wie
Delbrück. Die Promemorias kamen jetzt auf, worauf Bismarck dann kurze
Randbemerkungen zu setzen pflegte, zur Direktive für die weitere Behandlung
der Gegenstände.
Aber auch sonst vollzog sich ein Wandel in der Stellung des Reichskanzler-
Amts-Präsidenten; während Delbrück, wie wir oben sahen, in seinem Ressort ganz
frei schalten und walten durfte — immer natürlich mit der Restriktion, daß er
bewußt war, im Geiste Bismarcks zu handeln — führte der Reichskanzler schon
bald nach der Ernennung des Staatsministers Hofmann die Stellung des
Präsidenten des Reichskanzler-Amts auf die eines einfachen „Staatssekretärs=
zurück. Es war die Zeit, wo — wie bereits erwähnt — in Bismarck der
Wunsch rege wurde, die Leitung auch der inneren Geschäfte des Reiches mehr in
seine Hände zu nehmen und sich mit obersten Reichsbeamten zu umgeben, die
gewillt waren — soweit es sich nicht um technische Fragen handelte — ganz
nach seinen Direktiven zu verfahren. Hofmann sollte nach Bismarcks Intentionen
und ausdrücklichen Instruktionen ihm gegenüber im inneren Ressort etwa die
Stellung einnehmen, wie sie der Staatssekretär von Bülow im äußeren Ressort
inne hatte, das heißt, so viel als ausschließlich im Geiste des Chefs die Ge-
schäfte führen, nichts Neues beginnen, ohne den Kanzler zu fragen, in einer
begonnenen Sache keinen entscheidenden Schritt thun, ohne sich wiederum seines
Einverständnisses versichert zu haben. Bülow hatte sich in Bismarck ganz hinein-
gelebt; schon in Frankfurt am Main hatte er gelernt, seine Größe voll zu
würdigen, und es sich später als ein schönes Lebensziel gesteckt, ganz im Dienste
dieses Mannes aufzugehen und alle persönlichen Ambitionen und Ansichten zurück-
treten zu lassen. Seine Beschäftigung im auswärtigen Ressort, wo naturgemäß
nur der Wille eines Mannes maßgebend sein kann, erleichterte ihm gewiß die
Uebernahme einer solchen Stellung unter dem von beispiellosen diplomatischen
Erfolgen gekrönten Kanzler. Schwieriger erwies sich die Sache für Hofmann,
der als unabhängiger Mann in eine Stellung eintrat, die er sich nicht in dem