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sich auf einen Lehnsessel am Kamin und lud mich ein, ihr gegenüber Platz zu
nehmen. Die Unterredung war zwanglos, bewegte sich auf verschiedenen Ge—
bieten und geriet keinen Augenblick ins Stocken, obgleich die Audienz länger
als eine halbe Stunde dauerte.“
Berlin, den 21. Dezember 1875.
An Frau Wanda v. Koethe.
„Ich habe eine Besprechung über die Abtretung unserer Thüringer Eisen-
bahn mit ihren sämtlichen Dependenzen an das Reich gehabt. Noch bewegt
sich die Sache zwar in den ersten Stadien und muß ich namentlich auch schon
um deswillen eine reservirte Haltung in derselben einnehmen, weil ich nicht
weiß, ob sie dem Herzog ebenso willkommen sein würde als mir; meiner Ansicht
nach ist sie aber doch für uns von so tief eingreifender finanzieller Bedeutung,
daß ich es für meine Pflicht halte, sie mindestens so weit zu fördern, als ich
es bei der jetzigen Sachlage dem Herzog gegenüber glaube verantworten zu
können.
Allem Anschein nach wünscht Bismarck selbst die Erwerbung, um auf diese
Weise einen Anfang zu machen mit der Ausführung des großartigen Gedankens,
alle Eisenbahnen Deutschlands in der Hand des Reichs zu konzentriren. Ist
dies richtig, so können wir uns wohl auch der Hoffnung hingeben, daß es uns
gelingen wird, die möglichst günstigen Bedingungen zu erlangen, und in diesem
Falle würde ich dann, sei es früher oder später, meine ministerielle Laufbahn
mit dem befriedigenden Bewußtsein beschließen können, daß ich das Herzogtum
nach allen Richtungen hin meinem Nachfolger in einem besseren Zustande hinter-
lasse, als ich es gefunden habe.
Ich bin so glücklich gewesen, für heute noch eine Einladung zum Diner
in das Königliche Palais zu erhalten, der ich um so lieber Folge leiste, als
sich mir dabei doch endlich die Gelegenheit bieten wird, dem Kaiser auch noch
mündlich meinen Dank für die mir am 1. Dezember erwiesene Gnade 1) aus-
zusprechen.
Zunächst werde ich mich nun mit Herrn von Groß über das Eisenbahn-
projekt) ins Einvernehmen setzen und zu diesem Behufe mich schon in den
nächsten Tagen nach Weimar begeben müssen."
1) Seebach hatte vom Könige von Preußen den Kronen-Orden 1. Klasse mit Brillanten
erhalten.
2:) Mit dem Aufgeben des Reichseisenbahnprojekts wurde diese Frage demnächst
gegenstandslos.