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würden. „Andererseits aber,“ heißt es weiter, „könne man sich der Erkenntnis
nicht verschließen, daß an manche Bestimmungen des Strafgesetzbuchs und
namentlich an solche, welche von einem humanen Geist diktirt seien, durch Miß-
brauch grelle Uebelstände sich geknüpft haben, dergestalt, daß bis zu einem
gewissen Grade nicht nur Wissenschaft und Richterstand, sondern beinahe die
gesamte öffentliche Meinung eine Abänderung des Bestehenden fordern. Diesem
Bedürfnisse Rechnung zu tragen, erscheine dringend geboten, und je mehr man
sich hierauf beschränke, um so mehr werden auch jene an sich beachtenswerte
Bedenken, welche einer Revision entgegengestellt werden können, in den Hinter-
grund treten. Mit ihrem vollen Gewichte fallen dieselben jedoch zu Gunsten
einer nur beschränkten, einer Notrevision, in die Wagschale. Nur eine solche
Revision, bei der übrigens es der Einsetzung einer im Falle allgemeineren Re-
vision unabweisbar gebotenen Kommission nicht bedürfe, sei daher zu befür-
worten. Auch die Vorlage stelle sich auf den Standpunkt einer nur beschränkten
Revision, und die Grenzen, welche sie für eine solche in den Motiven bezeichne,
erscheinen grundsätzlich richtig gezogen. Ob aber die Vorlage selbst die Grenzen,
die sie sich gesteckt, allenthalben eingehalten habe, könne je nach dem Stand-
punkte, den man einnehme, in Zweifel gezogen werden. Bei der Spezial=
beratung werde es rätlich sein, den Gedanken einer Notrevision sich gegenwärtig
zu halten und zu prüfen, ob demselben entsprechend die Vorlage hier zu kürzen,
dort zu erweitern sein möchte."
Von einer Seite wurde hierauf eine Erklärung abgegeben, welche der
Bericht folgendermaßen zusammenfaßt: „Der Umfang der Vorlage habe einiger-
maßen überraschen müssen. Der preußische Antrag, welcher zu der Revision
die Veranlassung gegeben, habe, wenn auch unter Vorbehalt weiterer Anträge,
doch als Gegenstände der Revision nur einige wenige, allgemein als dringlich
erkannte Punkte aufgestellt. Die Vorlage greife weit darüber hinaus, führe
ein dem System des Strafgesetzbuchs völlig neues Institut ein — und betrete
an anderen Stellen Gebiete, deren Hereinziehung man nicht hätte erwarten
können. Hierdurch seien diejenigen Regierungen in eine üble Lage geraten,
welche, von der Annahme ausgehend, daß eine so umfassende Revision nicht in
Aussicht zu nehmen sei, sich bei Vorbringung von Wünschen und Anträgen
die größte Beschränkung auferlegen zu sollen geglaubt haben. Andererseits,
wenn man die große Zahl der unerledigt gebliebenen Anträge der Regierungen
betrachte, könne man des Gedankens sich kaum erwehren, daß nach einigen
Jahren die Notwendigkeit einer neuen noch umfassenderen Revision sich ergeben
werde, und es frage sich daher, ob nicht anstatt der vorgeschlagenen partiellen
Revision des Gesetzbuchs eine Notrevision, welche auf wenige Punkte, wo das
Revisionsbedürfnis außer aller Frage sei, sich zu beschränken hätte, vorzunehmen
sei. Man werde sich vorbehalten, die Frage einer, einer besonderen Kommission
zu übertragenden, allgemeinen Revision auf die Tagesordnung zu bringen.“