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bürger geltenden Rechtsgrundsätzen nicht vereinbar sei, den Mitgliedern des
Reichstags eine so weitgehende Prärogative einzuräumen. Der Bundesrat
schloß sich in der Sitzung vom 6. November 1875 diesem Antrage seiner Aus-
schüsse an in der Erwägung,
1. daß der Art. 31 der Reichsverfassung, wie aus einer Vergleichung des
Inhaltes seines dritten Absatzes mit dem der beiden vorangegangenen hervor-
geht, dem Reichstag eine Einwirkung auf Abwehr einer Verhaftung seiner
Mitglieder nur bei der Untersuchungs= oder Schuldhaft, nicht aber auch bei
einer im Strafverfahren bereits rechtskräftig erkannten Haft eingeräumt hat;
2. daß ein Bedürfnis zur Abänderung dieser Verfassungsbestimmung dahin:
daß auch die Vollstreckung einer im Strafverfahren bereits rechtskräftig erkannten
Haft von der Zustimmung des Reichstags abhängig sein solle, nicht anerkannt
werden kann, da die deutsche Reichsverfassung sich durch eine solche Aenderung
in Widerspruch mit dem gemeinen Staatsrecht aller großen konstitutionellen
Staaten setzen würde, welches ein solches Recht der Landesvertretung nicht
kennt, und zwar offenbar in Würdigung des Unterschiedes, welcher thatsächlich
und rechtlich zwischen der Einleitung oder Fortführung einer strafrechtlichen Ver-
folgung und der Vollstreckung eines rechtskräftigen Erkenntnisses obwaltet.
Errichtung eines Reichstagsgebäudes. In seiner Sitzung vom
18. Januar 1876 stimmte der Bundesrat dem Antrage der preußischen Re-
gierung zu, daß bei dem Reichstag ein Antrag eingebracht werde, wonach der
Reichskanzler ermächtigt wird, zum Zwecke der Errichtung des Reichstagsgebäudes
über die Erwerbung der Grundstücke des Krollschen Etablissements in Berlin
und einer angrenzenden Fläche des Tiergartens durch das Reich mit der preu-
ßischen Regierung und den sonstigen Beteiligten in Verhandlung zu treten.
5. Zoll- und Steuerwesen.
Zolltarifreform. Mit dieser Frage wurde der Bundesrat in unserer
Session nicht befaßt. Delbrück hätte sich jedenfalls mit Händen und Füßen
gegen eine Reform in schutzzöllnerischem Sinne gesträubt. Auch bei Bismarck
wurden damals noch freihändlerische Tendenzen angenommen. Dies geht so
recht deutlich aus folgendem Schreiben der elf Ausschußmitglieder des Landes-
ökonomiekollegiums an den Fürsten Bismarck hervor:
Berlin, 13. Oktober 1875.
Durchlaucht!
Die Unterzeichneten elf Männer haben, als Vertreter der elf Königlich
preußischen Provinzen den Ausschuß des Königlich preußischen Landesökonomie-
kollegii bildend, auf Berufung ihres Herrn Ressortministers im Namen der von
ihnen vertretenen Landwirtschaft demselben nach eingehender Beratung beiliegenden
Antrag unterbreitet.