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so, wenn behauptet wurde, es handle sich um ein Einlenken dem römischen Stuhle
gegenüber. Es lag nicht das geringste Anzeichen vor, daß eine Aenderung der
Politik in dieser Richtung in Anregung kommen würde. Auch der Angelegen—
heit des Generals v. Stosch wurde ein Einfluß zugeschrieben, der ihr von kundiger
Seite in keiner Weise eingeräumt wurde. Der von allen, die dem Kanzler
nahestanden, bezeugte leidende Gesundheitszustand war allein der Grund, weshalb
derselbe seine Entlassung, vorbehaltlich der Entscheidung des Kaisers über eine
andere Modalität, ihm die nötige Ruhe zu schaffen, erbeten hatte. 1)
Erfreulicher Weise wurde dem Demissionsgesuch des Kanzlers keine Folge
gegeben. Am 11. April lief folgendes Schreiben des Reichskanzlers an den
Präsidenten des Reichstags ein, welches die schwebende Tagesfrage löste:
„Ew. Hochwohlgeboren beehre ich mich ergebenst zu benachrichtigen, daß
der Zustand meiner Gesundheit mir zu meinem lebhaften Bedauern nicht gestattet,
mich an den bevorstehenden Verhandlungen des Reichstages zu beteiligen. Behufs
meiner Wiederherstellung haben Se. Majestät der Kaiser die Gnade gehabt, mir
einen Urlaub zu erteilen und zu genehmigen, daß während der Dauer desselben
meine Vertretung und die laufenden Geschäfte bezüglich der inneren Angelegen-
heiten des Reiches von dem Herrn Präsidenten des Reichskanzler-Amts und
bezüglich der auswärtigen Angelegenheiten von dem Herrn Staatssekretär v. Bülow
übernommen werden. Ew. Hochwohlgeboren ersuche ich ergebenst, dem Reichs-
tage hiervon geneigtest Mitteilung machen zu wollen.
v. Bismarck.“ 2)
1) Zu vgl. über diese Kanzlerkrisis die „Nordd. Allg. Ztg.“ Nr. 78 vom 5. April
1877, Nr. 79 vom 6. April 1877, Nr. 80 vom 7. April 1877, Nr. 81 vom 8. April 1877,
Nr. 82 vom 10. April 1877, Nr. 83 vom 11. April 1877, Nr. 84 vom 12. April 1877,
Nr. 86 vom 14. April 1877, Nr. 90 vom 19. April 1877 und die „Nat.-Ztg.“ Nr. 168
vom 11. April 1877. Die Erwartung, daß dem Bundesrate bezüglich der „Kanzlerkrisis“
eine Mitteilung zugehen würde, bestätigte sich nicht.
2) Dem „Hamburger Correspondenten“ wurde drei Tage vor dieser Kaiserlichen Ent-
schließung aus Berlin geschrieben: „Während man im In= und Auslande darüber sinnt,
welche nichtkörperlichen Gründe zur Ermüdung des Kanzlers beigetragen haben könnten, ist
es auffallend, daß niemand sich eines aus dem Jägerleben hergenommenen Gleichnisses zu
erinnern scheint, welches mancher Leser Ihres Blattes gleich dem Schreiber dieses im vorigen
Herbste und in den letzten Wochen dieses Jahres aus dem Munde Bismarcks gehört haben
muß. Es war dieses: Wenn ein Jäger, den die Jahre zu drücken anfangen, einen halben
Tag auf der Hühnerjagd zugebracht hat, immer nur Kartoffelkraut unter sich und die
Aussicht auf das kleine Geflügel vor sich, so verliert sich die Lust an der Sache; er denkt
an den Mittag und den Lehnstuhl und gibt die Völker auf, die er vielleicht noch auf-
stöbern könnte. Wird ihm aber gemeldet, daß einige starke Keiler eingespürt sind, so
erwacht die alte Passion, und er fühlt sich wieder jeder Anstrengung gewachsen. Bismarck
hoffe seit Jahren auf solche Keiler; aber diejenigen, deren Beruf es wäre, sie vorzutreiben,
thäten das nicht, verscheuchten sie vielmehr. Die Moral war, daß der Kanzler gewisse
große Reformen für nötig hielte, Reformen der Steuergesetzgebung in Preußen, der Zoll-
gesetzgebung des Reiches, Umgestaltung des Eisenbahnwesens, Beseitigung der Uebelstände,