Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Dritter Band. Der Bundesrat des Deutschen Reichs (1873-1878). (3)

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Eine Berliner lithographische Korrespondenz, die „Deutsche Reichs- 
Correspondenz“, wollte wissen, daß die angeblich lange Dauer der sogenannten 
Kanzlerkrisis sich nur dadurch erkläre, daß Fürst Bismarck als Bedingung 
seines Bleibens im Amte einen großen System= und Personenwechsel verlangt 
habe, der Kaiser sich aber nicht habe entschließen können, sich von mehreren 
langjährigen Dienern zu trennen; zugleich wurde behauptet, daß sich unter diesen 
der Minister Camphausen befunden habe. Der thatsächliche Verlauf der Krisis. 
hatte mit den angeführten Behauptungen nicht das geringste zu thun gehabt. 
Zur Erklärung der angeblich langen Dauer der Krisis brauchte man sich nur 
zu erinnern, daß der Kaiser sich bemühte, den Kanzler zunächst zum Verzicht 
auf den Abschied, dann zum Verzicht auf einen Urlaub von unbestimmter längerer 
Dauer mit völliger Enthaltung von der Teilnahme an allen Regierungsgeschäften 
zu veranlassen. Dazu kam, daß der Kanzler selbst Herrn Camphausen zu 
seinem Stellvertreter vorgeschlagen hatte. Es kann versichert werden, daß bei 
den Verhandlungen Vorschläge wegen eines Personen= und Systemwechsels nicht 
gemacht wurden. Jene Behauptungen waren nichts weiter als Uebertragungen 
aus den Andeutungen einzelner Zeitungen über die Zukunftspläne des Kanzlers 
auf das Gebiet der bereits lebendigen Thatsachen. 
In dieser Session ereignete sich einer der berühmten Fälle, 1) in welchem 
Preußen im Bundesrat überstimmt wurde; es war die Abstimmung über den 
Sitz des Reichsgerichts. Gegen die preußischen Stimmen wurde Leipzig hierzu 
ausersehen. Die preußische Regierung nahm diesen Beschluß zum Anlaß, von 
dem Rechte Gebrauch zu machen, welches Art. 9 der Reichsverfassung den im 
Bundesrat in der Minderheit gebliebenen Regierungen gibt, von dem Rechte, 
im Reichstag den Standpunkt ihrer Regierungen zu vertreten. Einen Erfolg 
hatte dies bekanntlich damals nicht, es war aber ein seltsames Schauspiel, das 
sich dem Reichstag darbot, als der Bevollmächtigte des Königs von Preußen 
den Beschluß des Bundesrats bekämpfte, welchen der Kaiser, der zugleich König 
von Preußen ist, dem Reichstag vorgelegt hatte. 
Ein nationalliberales Blatt schrieb zu dem Bundesratsbeschluß:t „Man 
hat gesagt, daß die Abstimmung im Bundesrat die Majorisirung des führenden 
welche sich aus der von der herrschenden wirtschaftlichen Doctrin seit lange geforderten, 
von Bundesrat und Reichstag mit überwältigenden Majoritäten beschlossenen Freizügigkeit 
entwickelt hätten. Er selbst könne die Vorarbeiten nicht machen; diejenigen, welche sie zu 
machen hätten, leisteten passiven Widerstand; und damit brach der Kanzler ab. Eine dritte 
Möglichkeit, die sich jedem Zuhörer darstellte, schien er mit Resignation als unerreichbar 
zu betrachten. Sollte nicht auch dies mit der physischen Ermüdung etwas zu thun haben? 
Der Kanzler hat, wie öfter schon, auch hier Shakespeares „Percy“ kopirt, dem der Dichter 
das Wort in den Mund legt: 
„Viel höher schlägt das Herz beim Löwenjagen, als beim Hasenhetzen.“ 
1) Der erste Fall war es natürlich nicht; ein gleichfalls bekannter Fall betraf die 
Aberkennung des Adels im Strafgesetzbuch; s. Bd. I S. 305.
	        
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