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zu großem politischen Pathos erörtert. Ein solcher blieb der amtlichen Behand-
lung ganz fern. Das Reichs-Justizamt, in dessen Hände die Angelegenheit
gegeben war, hatte dieselbe lediglich vom Standpunkte geschäftlicher Zweck-
mäßigkeit aufgefaßt und motivirt, und auch in der Beratung des Bundesrats
kamen nur sachliche Momente in Betracht. Von preußischer Seite ließ man
diesen sachlichen Erwägungen völlig freien Spielraum, ohne der Frage eine
politische Bedeutung zu unterstellen. Von einer Niederlage Preußens kann also
nicht die Rede sein, und wird die Angelegenheit zunächst der Entschließung des
Reichstags unterliegen."
Gegenüber der vollkommenen Harmlosigkeit dieser Darstellung lasse ich noch
einige Ausführungen eines autochthonen Bayern vom Strand der Isar folgen,
welcher gleichzeitig bemerkte: „Wenn sich aber gegen Berlin überhaupt als Sitz des
Reichsgerichts Stimmen erhoben haben und erheben, so ist dieses zwar nach den
allerneuesten Darlegungen deutscher Unart kaum zu verwundern, jagt aber dem
gemeinen Verstande und geraden Sinne das Blut von neuem ins Gesicht: das
macht unsern Feinden von innen und außen wieder wahre Freude! Muß man
denn bei jeder Gelegenheit den schlecht verhehlten Mißmut, die eitle Sonderungs-
lust und angestammte Unbotmäßigkeit zur Schau tragen? können Parteien und
Regierungen nichts besseres, als dem Ausland ihre Blößen zeigen? und stellt
man nicht den gesamten Richterstand des Reiches geradezu an den Pranger vor
aller Welt, wenn man die Glieder des Reichsgerichts, welche aus allen Orten
berufen werden, von vorneher irgend einer anderen Beeinflussung fähig hält,
als der Stimme der Ehre, der Treue und des Gewissens? Der Bundesrat
hat, während dieses niedergeschrieben ward, so recht nach dem Vorbild des noch
spukenden Bundestags „Preußen majorisirt" und damit zweifelsohne einen ganz
gewaltigen Hieb geführt — wohin? das wird sich zeigen. Stünde nicht der
Zeiger der Weltuhr so nah am Ausheben einer furchtbar ernsten Stunde —
man überließe diese Weisheit und Praxis zunächst dem Epigramm und der
Satire zu freiem Spiel.“
In einem „Der Bundesrat und der verantwortliche Reichskanzler“ über-
schriebenen Artikel führte die „National-Zeitung“ Nr. 109 vom 6. März 1877
folgendes aus: „So hoch wir im Interesse der deutschen Rechtspflege und
Rechtsentwicklung die sachliche Entscheidung über den Sitz des Reichsgerichts
anschlugen, so haben wir doch lange vor der Abstimmung im Bundesrate nicht
Anstand genommen, zu sagen: Diese sachliche Seite der Frage wird in den
Hintergrund gedrängt werden, sobald es einem tendenziösen partikularistischen
Widerspruch gelingen sollte, sich gegen die wohl erwogene Ansicht der leitenden
Kräfte des Reichs mit Erfolg geltend zu machen. Die bayerische Regierung
hat sich inzwischen energisch gegen die Darstellung verwahrt, als ob sie in dieser
Sache sich an die Spitze einer Koalition von Mittel= und Kleinstaaten gestellt
habe oder zu stellen gedenke. Dieser Verwahrung unbeschadet, ist indes die