Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Dritter Band. Der Bundesrat des Deutschen Reichs (1873-1878). (3)

Sinn. Kastner war im Bundesrat Referent für den nach dem Nobilingschen 
Attentat daselbst eingebrachten zweiten Entwurf eines Gesetzes gegen die gemein- 
gefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie. Der von der preußischen Re- 
gierung noch vor seiner Beratung im Bundesrat veröffentlichte Gesetzentwurf!) 
ließ gegen das Verbot sozialdemokratischer Vereine eine Beschwerde an das 
„Reichsamt für Vereinswesen und Presse“ offen. Ueber die Organisation dieser 
Beschwerde-Instanz war im Entwurfe bestimmt: Das Reichsamt für Vereins- 
wesen und Presse hat seinen Sitz in Berlin und besteht aus neun Mitgliedern, 
welche aus der Zahl der im Reichs= oder im Staatsdienst angestellten Per- 
sonen zu berufen sind. Mindestens fünf Mitglieder müssen etatsmäßig angestellte 
Richter sein. 
Im Jahre 1894 veröffentlichten die „Berliner Neuesten Nachrichten“ einen 
auf diesen Gesetzentwurf bezüglichen Brief Bismarcks an den Chef der Reichs- 
kanzlei, d. d. Kissingen, 15. August 1878, welcher lautet: „Eure Hochwohl- 
geboren bitte ich, Herrn Minister Grafen Eulenburg und Herrn Geheimrat 
Hahn mein Bedauern darüber auszusprechen, daß der Entwurf des Sozialisten- 
gesetzes in der „Provinzial-Korrespondenz“ amtlich publizirt worden ist, bevor er 
im Bundesrat vorgelegt war. Diese Veröffentlichung präjudizirt jeder Amen- 
dirung durch uns und ist für Bayern und andere Dissentirende verletzend. Nach 
meinen Verhandlungen von hier aus mit Bayern muß ich annehmen, daß 
letzteres an seinem Widerspruche gegen das Reichsamt festhält. Württemberg 
und, wie ich höre, auch Sachsen widersprechen dem Reichsamt nicht im Prinzip, 
wohl aber angebrachtermaßen, indem sie die Zuziehung von Richtern perhor- 
resziren. 
Diesem Widerspruche kann ich mich persönlich nur anschließen. Es handelt 
sich nicht um richterliche, sondern um politische Funktionen, und auch das 
preußische Ministerium darf in seinen Vorentscheidungen nicht einem richterlichen 
Kollegium unterstellt und auf diese Weise für alle Zukunft in seiner politischen 
Bewegung gegen den Sozialismus lahm gelegt werden. Die Funktionen des 
Reichsamts können nach meiner Auffassung nur durch den Bundesrat entweder 
direkt oder durch Delegationen an einen jährlich zu wählenden Ausschuß geübt 
werden. Der Bundesrat repräsentirt die Regierungsgewalt der Gesamtsoube- 
ränetät von Deutschland, dabei etwa dem Staatsrate unter anderen Verhält- 
nissen entsprechend. 
Bisher muß ich indessen annehmen, daß Bayern auf diesen für Württem- 
berg, Sachsen und für mich persönlich annehmbaren Ausweg nicht eingehen 
wird. Auch die Klausel in Nr. 3, Artikel 23, daß nur arbeitslose Individuen 
ausgewiesen werden dürfen, ist für den Zweck ungenügend. 
Ferner bedarf das Gesetz meines Erachtens eines Zusatzes in Betreff der 
1) Vgl. die „Prov. Korresp.“ Nr. 33 v. 14. 8. 78.
	        
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