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Beamten dahingehend, daß Beteiligung an sozialistischer Politik die Entlassung
ohne Pension nach sich zieht. Die Mehrzahl der schlecht bezahlten Subaltern-
beamten in Berlin, und dann der Bahnwärter, Weichensteller und ähnlicher
Kategorien, sind Sozialisten, eine Thatsache, deren Gefährlichkeit bei Aufständen
und Truppentransporten einleuchtet.
Ich halte ferner, wenn das Gesetz wirken soll, für die Dauer nicht möglich,
den gesetzlich als Sozialisten erweislichen Staatsbürgern das Wahlrecht und
die Wählbarkeit und den Genuß der Privilegien der Reichstagsmitglieder zu
lassen.
Alle diese Verschärfungen werden, nachdem einmal die mildere Form in
allen Zeitungen gleichzeitig bekannt gegeben, denselben also wohl amtlich mit-
geteilt ist, im Reichstage sehr viel weniger Aussicht haben, als der Fall sein
könnte, wenn eine mildere Version nicht amtlich bekannt geworden wäre. Die
Vorlage, so wie sie jetzt ist, wird praktisch dem Sozialismus nicht Schaden
thun, zu seiner Unschädlichmachung keinesfalls ausreichen, namentlich da ganz
zweifellos ist, daß der Reichstag von jeder Vorlage etwas abhandelt. Ich
bedaure, daß meine Gesundheit mir absolut verbietet, mich jetzt sofort an den
Verhandlungen des Bundesrats zu beteiligen, und muß mir vorbehalten, meine
weiteren Anträge im Bundesrat im Hinblick auf die ordentliche Reichstagssession
im Winter zu stellen.
v. Bismarck."
In der Sitzung des Bundesrats vom 27. August 1878 wurde, wie bereits
erwähnt, Ministerialrat Kastner zum Referenten für den Entwurf bestellt. Im
Justizausschuß fanden zwei Lesungen statt. Am Abend vor der zweiten Lesung
erhielt Kastner von der bayerischen Regierung ein Telegramm, welches ihn
beauftragte, an Stelle des im Entwurf vorgeschlagenen „Reichsamts für Vereins-
wesen und die Presse“ als Beschwerde-Instanz eine Kommission vorzuschlagen,
gebildet aus Mitgliedern des Bundesrats und einigen Richtern der obersten
Landesgerichtshöfe.
Als Kastner diese, von keinen Motiven begleitete Instruktion aus München
erhielt, war er zweifelhaft, ob bei der Lage der Bundesratsverhandlungen der
neue Vorschlag irgendwie Aussicht auf Annahme habe, ob es nicht geraten sei,
von dessen Stellung Abstand zu nehmen und der bayerischen Regierung die für
diese Prozedur sprechenden Gründe darzulegen. Der bayerische Regierungsrat
Herrmann, ein Kollege Kastners im Bundesrat, mit dem dieser die Sache vor
der Ausschußsitzung besprach, meinte aber, daß es gar keinen andern Ausweg
gebe, als den Antrag im Ausschuß zu stellen — selbst auf die Gefahr hin,
daß derselbe daselbst auch nicht eine einzige Stimme, abgesehen der von der
bayerischen, auf sich vereinige. Demgemäß stellte also Kastner im Justizausschuß
den oben gedachten Antrag, denselben nur kurz begründend.
Poschinger, Fürst Bismarck und der Bundesrat. III. 18