Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Dritter Band. Der Bundesrat des Deutschen Reichs (1873-1878). (3)

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Württemberg, beide Mecklenburg, Oldenburg, Braunschweig, Lippe und Reuß 
älterer Linie; für Berlin Preußen, Baden, Hessen, die Hansestädte, Reuß jüngerer 
Linie und Waldeck. 
Der Beschluß erregte in weiten Kreisen großes Aufsehen. Die „National- 
Zeitung“ Nr. 102 v. 1. 3. 77 kommentirte ihn in folgender Weise: „Der 
Beschluß des Bundesrats, der Berlin als Sitz des Reichsgerichts ablehnte und 
dem sächsischen Antrag gemäß Leipzig dazu bestimmte, wurde, wie jetzt ver- 
lautet, mit 30 gegen 28 Stimmen gefaßt. In der Minderheit stimmten 
Preußen mit Waldeck, 18 Stimmen, Baden und Hessen, je 3 Stimmen, dann 
Anhalt und die drei freien Städte mit je einer Stimme. In der Mehrheit 
schlossen sich sämtliche andere Staaten den drei Königreichen an. Wenn in 
einer für die Reichsorganisation so wichtigen Frage Preußen in die Minderheit 
gerät, so halten wir es für durchaus logisch und als den passenden Ausdruck 
dieses Zustandes, daß das Reichsgericht nicht nach Berlin, sondern nach Leipzig 
verlegt wird. Wie wäre es, wenn man den so angeschlagenen Gedanken weiter 
führte und das Reichskanzler-Amt nach München, das Reichs-Eisenbahn-Amt 
nach Stuttgart, das Auswärtige Amt nach Braunschweig dislozirte? für die 
kleineren Reichsämter richtete man einen Wendeltisch in Thüringen und Nachbar- 
schaft ein. Dagegen könnte der Vorsitz im Bundesratsausschusse für die aus- 
wärtigen Angelegenheiten Preußen für ewige Zeiten mit dem Sitz Berlin über- 
tragen werden. Wir sehen mit Interesse dem Augenblick entgegen, wenn die 
Minister der drei führenden“ Königreiche im Reichstage erscheinen und die von 
ihnen ausgehende Vorlage vertreten werden; jedenfalls ist es bemerkenswert, in 
welcher Weise die deutsche Reichsverfassung sich auszuwachsen beginnt. Nur 
im Bundesrate Bayern gegen Preußen gestimmt hat, wenn man dabei, wie billig, von 
der berühmten Reblausfrage absieht. Das innerhalb der allgemeinen Reichsbundesgenossen- 
schaft bisher bestandene speziell preußisch-bayerische Bündnis dürfte deswegen wohl nicht 
als gesprengt oder auch nur erschüttert anzusehen sein; weder die Ansicht noch der Wunsch 
der dem Reiche wohlgesinnten Personen in den leitenden Kreisen gehen dahin. Auf keinen 
Fall glaubt man hier an ein Streben des Königs nach der Rolle des ständigen Führers 
einer mittelstaatlichen Koalition; dazu ist man hier wohl zugleich zu vorsichtig und zu 
exklusiv. Natürlich muß ein solches Spezialbündnis wie das preußisch-bayerische, wie alle 
Dinge in den noch immer recht verwickelten deutschen Verhältnissen einen kleinen Puff ver- 
tragen können; kleine Verstimmungen, Schwankungen, Oscillationen darf man nicht tragisch 
nehmen. Hätte man auch in zivilen Dingen — in militärischen ist dies ja, gottlob, nicht 
möglich — Preußen vor jeder Majorifirung im Bundesrat schützen wollen, so hätte man 
diese Bestimmung eben ganz ausdrücklich in die Reichsverfassung aufnehmen müssen; in 
Deutschland werden sich bei Interessenstreitigkeiten die Politiker stets gelegentlich auf den 
reinen Buchstaben stützen wollen und baben das in diesem Falle ja auch gethan, obgleich 
dem Sinne und Geiste der Reichsverfassung eine Majorisirung Preußens gewiß nicht ent- 
spricht. Dagegen, daß diese wie etwa im alten deutschen Bunde zur Gewohnheit werde, 
ist übrigens gesorgt; hier wenigstens hegt man solche Tendenzen sicher weder bei Hofe noch 
in den Ministerien.“
	        
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