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eine Genugthuung bleibt uns diesen und verwandten Erscheinungen gegenüber:
wenigstens die Reichsjustizgesetze haben wir in Sicherheit gebracht. Wer würde
in der gegenwärtigen Lage der Reichspolitik, bei der Gestaltung des Reichstags
und den Parteiverhältnissen des Bundesrats nur den Gedanken wagen, ein so
tiefgreifendes Werk wie die Reichsjustizgesetze in Anregung zu bringen, geschweige
hoffen, es endgiltig zu erledigen! So gewinnt das gerettete große Werk für
uns noch eine neue und erhöhte Bedeutung.“
„Nach unserer Meinung,“ bemerkte die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“
Nr. 52 v. 3. 3. 77, „heißt es, das Kind mit dem Bade ausschütten, wenn
der Beschluß des Bundesrats als Anlaß zu einer solchen Polemik gegen die
deutschen Regierungen benutzt wird, zumal sich unter der Majorität auch solche
Staaten befinden die, wie zum Beispiel beide Mecklenburg, entschieden nicht die
Absicht haben, den Reichsorganismus irgendwie zum Frommen partikularistischer
Anwandlungen zu schädigen. Zunächst werden die Motive abzuwarten sein,
mit denen die bezügliche Vorlage an den Reichstag gelangt, dessen Votum durch
die ohnehin mit nur zwei Stimmen Majorität getroffene Entscheidung nicht
präjudizirt ist. Der Rat der Stadt Leipzig, durch den hiesigen sächsischen
Gesandten von dem Ausfall der Abstimmung telegraphisch benachrichtigt, hat
die letztere mit großem Beifall ausgenommen und beschlossen, nunmehr von der
projektirten Petition an den Reichstag Abstand zu nehmen.“
Und einen Tag darauf bemerkte die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“
Nr. 53 v. 4. 3. 77: „Bei der Beurteilung der Frage über den zukünftigen
Sitz des Reichsgerichts darf nicht außer Acht gelassen werden, daß bisher nicht
das geringste verlautet hat, woraus zu schließen wäre, daß Preußen durch An-
wendung irgend eines politischen Druckes den Vorschlag des Reichs-Justizamts
habe zur Annahme bringen wollen. Vielmehr hat die Haltung Preußens im
Bundesrat den sachlichen Gesichtspunkten von der einen wie von der andern
Seite in völlig unbefangener Weise Raum gelassen. Der weitere Verlauf der
Sache hängt übrigens zunächst von der Entschließung des Reichstags ab.“ 1)
1) Ein paar Tage später, Nr. 57 v. 9. 3. 77, bemerkte das Kanzlerblatt: „Die
Andeutungen über die Stellung der Regierung zur Frage nach dem Sitz des Reichsgerichts
sind mit einer gewissen Beflissenheit dahin mißdeutet worden, als wäre auf seiten der
Regierung überhaupt jeder politische Gesichtspunkt in Abrede gestellt, während wir nur
Verwahrung eingelegt haben gegen das politische Pathos gewisser Blätter, welche eine
Niederlage Preußens um jeden Preis in der Abstimmung des Bundesrats finden wollten.
Wir haben gegenüber dem Jubel einerseits und den Klagen andererseits über eine solche
Niederlage nur die Bemerkung gemacht, daß die Gesichtspunkte preußischer Sonderpolitik
gar nicht in Frage kommen, und daß solche in den Verhandlungen gar nicht betont worden,
daß vielmehr lediglich sachliche Gesichtspunkte geltend gemacht worden sind. Die überall
abgedruckten Motive zu der ursprünglichen Vorlage beweisen die Richtigkeit dieser Be-
hauptung. Damit steht nicht im Widerspruch, daß bei der Beratung im Bundesrat,
gegenüber den Gesichtspunkten partikularistischer Politik, seitens der preußischen Be-