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aus, jedoch mit der weiteren Bestimmung, daß Sachsen kein besonderes oberstes
Gericht mehr halten darf.“
Die „Provinzial-Korrespondenz“ bemerkte zu diesem Reichstagsbeschluß:
„Der Verlauf der Verhandlungen über den Sitz des Reichsgerichts ist von
großer und ernster Bedeutung nicht bloß für die Frage, um die es sich zunächst
handelte, nicht bloß für die weitere Entwicklung der einheitlichen deutschen Reichs-
institutionen, sondern zugleich für unser gesamtes deutsches Verfassungsleben.
Zum erstenmal seit der Errichtung des Norddeutschen Bundes und des
Deutschen Reiches ist in einer Frage von hoher Wichtigkeit die Auffassung und
das Streben des Reichspräsidiums und der preußischen Regierung zunächst im
Bundesrat einer Stimmenmehrheit unterlegen, und ist sodann der in solchem
Gegensatze gefaßte Beschluß von einer Mehrheit des Reichstags bestätigt worden.
Daß dem diesmaligen Zusammenwirken des Reichstags mit dem Bundesrat ein
richtiges und naturgemäßes Verhältnis nicht zu Grunde lag, läßt sich schon aus
der Zusammensetzung der Mehrheit erkennen, welche den betreffenden Beschluß
im Reichstag gefaßt hat: den Stamm und Kern derselben bilden im festen
Zusammenhalt alle die Parteien, welche im regelmäßigen Laufe der Reichspolitik
fast immer im Gegensatz zu den verbündeten Regierungen stehen, während alle
sonst zur Regierungspolitik stehenden Parteien in sich zerfielen und nur durch
ihre Zersplitterung jenen Elementen einen Zuwachs gewährten, der die
unnatürliche Mehrheit entstehen ließ. Die Ursache des bedenklichen Ausganges
liegt diesmal vor allem im Bundesrat, dessen Entscheidung, wie schon oben
angedeutet, das Reichspräsidium in die Unmöglichkeit versetzte, seine volle
Autorität für die Vertretung seiner Auffassung einzusetzen. Die Voraussetzungen,
auf welchen die Regierungseinrichtungen des Reiches beruhen und unter welchen
allein eine segensreiche Wirksamkeit derselben denkbar ist, waren in diesem Falle
augenscheinlich nicht vollauf beherzigt und gewahrt worden: dadurch war die
wichtige Angelegenheit von vorn herein dem Reichstag gegenüber in eine schiefe,
unnatürliche Lage gebracht. So bedenklich die getroffene Entscheidung für die
Entwicklung des Reichsgerichts selbst sein mag, so ist doch noch von größerer
Bedeutung die Gefahr für die Entwicklung der Reichs-Institutionen überhaupt,
welche entstehen könnte, wenn sich nicht alle berufenen Kräfte vereinigen, um
eine Handhabung der Reichsverfassung nach ihrem Geist und Wesen zu sichern.“
Wegen des Zusatzes zu dem Gesetzentwurf, wonach Sachsen kein oberstes
Gericht mehr halten durfte, war eine nochmalige Beschlußnahme des Bundesrats
über denselben erforderlich. Die Sache wurde zunächst dem Justizausschuß
überwiesen. 1) Derselbe war vor der Plenarsitzung des Bundesrats vom 6. April
1) Die „Nat.-Ztg.“ Nr. 151 v. 30. 3. 77 bemerkte hierzu: „Wenn hieran schon
Folgerungen über die Annahme oder Nichtannahme des Gesetzes durch den Bundesrat
geknüpft werden, so gibt die bloße Thatsache der Ueberweisung an einen Ausschuß allein
keinen Anlaß, derartige Betrachtungen anzustellen. Es ist nach der ganzen Entwicklung